Ein altes Haus am Hudson River
die alten Zeiten zurückversetzt, als sie seine einzige Zuhörerin war, als sie zwar nicht mit dem Intellekt, aber doch mit dem Herzen verstanden hatte. Er brachte es nicht fertig, etwas zu sagen, was jenen ängstlichen, gedemütigten Blick in ihre Augen treten ließ. Er müsse weg, erklärte er, in die Redaktion, aber er versprach, da zu sein, wenn sie nach dem Lunch Laura Lou besuchte.
Er wusste, es war nur ein Aufschub. Er hatte bereits beschlossen, dass er keinesfalls von den Einnahmen seiner Großmutter existieren wollte. Sein ganzes Dasein kam ihm zurzeit wie ein Aufschub vor: Moralisch wie materiell lebte er von der Hand in den Mund. Aber sein Verstand lehnte es ab, sich dem Zweckdienlichen zu beugen. Es war unvorstellbar, das Geld anzunehmen, das Mrs Scrimser mit ihrer eigenen Ahnungslosigkeit aus der Ahnungslosigkeit anderer herauszuholen gedachte. Das stundenlange Lesen und Nachdenken in The Willows hatten ihn so geprägt, dass ihm jede Form von geistiger Hochstapelei als denkbar gemeinste Ehrlosigkeit erschien. Die Stunde, die seine Großmutter bei Laura Lou verbrachte, drohte diesen Entschluss zu untergraben. Als er die beiden so sah – Laura Lou, so hübsch wie selten, den Kopf zufrieden gegen das Kissen gelehnt, die Hand willig in die von Mrs Scrimser gelegt, und diese im Schaukelstuhl neben dem Bett, der mächtige Körper von einer Aura der Gutmütigkeit und Sicherheit umstrahlt –, da schien Vance nichts so wichtig wie die Tatsache, dass diese beiden sich gut verstanden. Wenn es sich nur umgekehrt verhielte und er in der Lage wäre, seiner Großmutter ein Zuhause zu bieten! Dann wären alle seine Schwierigkeiten behoben: Laura Lou beruhigt und versorgt, der Haushalt irgendwie geregelt, und er selbst hätte eine Ecke für sich, in der er ungestört seiner Arbeit nachgehen könnte … Genau das boten Mrs Scrimser und«Storecraft»ihm an, und die Ironie dieses Gegensatzes fraß sich brennend in sein Inneres. Er beschloss, noch heute den Verleger aufzusuchen, der ihm so verführerische Vorschläge gemacht hatte. Vielleicht gab es immer noch eine Hoffnung für eine Neuregelung mit der« Neuen Stunde»und Dreck und Saltzer.
Auf dem Weg nach unten legte ihm Mrs Scrimser die Hand auf den Arm.«Können wir irgendwo eine Minute allein miteinander sprechen, Vanny?»
Er stieß die Tür zum Salon auf; der öde Raum war leer. Mrs Scrimser setzte sich auf ein Sofa mit Schonbezug und zog ihn neben sich. Sie sah ihn zärtlich an, und schon bevor sie sprach, wusste er, was sie sagen würde.«Du meinst, Laura Lou sieht krank aus?», stieß er hervor.«Sie war ein wenig aufgeregt wegen deines Besuchs – deswegen hatte sie erhöhte Temperatur. Aber es geht ihr gut, wirklich …»
« Wer kümmert sich um sie, wenn du in der Redaktion bist?», fragte seine Großmutter.
« Nun ja, das Dienstmädchen schaut ab und zu nach ihr. Und Mrs Hubbard, unsere Hauswirtin, war sehr nett zu ihr … bis vor Kurzem …»
« Vor Kurzem?»
Er errötete.«Tja, ich bin mit der Miete im Rückstand, das ist wohl der Grund.»
« Vanny, du musst dieses Kind von hier fortschaffen.»
Er lachte ungeduldig.«Fortschaffen? Wohin? Erstens würde sie ohne mich nirgendwohin gehen …»
Sie blickte ihn ernst an.«Dann musst du mitgehen. Junge Augen erkennen Krankheiten nicht so gut wie alte … Nein, Liebes, ich möchte dir keine Angst einjagen, sie wird wieder gesund, sie braucht nur Pflege und gute Ernährung – und Trost, glaube ich. Sorgt sie sich nicht um dich und deine Angelegenheiten? Vielleicht fürchtet sie, dass sie dir eine Last ist? Das arme Kind, ich dachte es mir … Also, Vanny, all das muss aufhören. Es muss auf hören !»Plötzlich entschlossen, stand sie auf.«Ich lasse diesen ‹Storecraft›-Mann kommen – ich hab gemerkt, dass die mich unbedingt haben wollen, er hatte regelrecht Angst, ich könnte einem anderen Agenten in die Hände fallen. Ich werde mich heute Abend mit ihm treffen, Vanny, und einen ordentlichen, satten Vorschuss aus ihm rausholen! Saidie Toler regelt das für mich, du wirst schon sehen.»
Sie stand vor ihm und strahlte ihn so zuversichtlich und beruhigend an, dass sein Entschluss ins Wanken geriet. Hatte sie nicht am Ende recht? Was ging es ihn an, wenn sie (bestimmt in gutem Glauben) ihre diffusen Redekünste einem Publikum verkaufen wollte, das noch ahnungsloser war als sie selbst? Wahrscheinlich bewirkten ihre Predigten ohnehin nur Gutes … Warum sollte man sie mit den Maßstäben einer
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