Ein amerikanischer Thriller
Loyalität
gehört.«
»Sagen wir, ich bin vielseitig.«
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DOKUMENTENEINSCHUB: 2. 12. 58. Offizielles FBI-
Telefontranskript: »Aufgenommen auf Anweisung des
Direktors.« – »Vertraulichkeitsstufe 1-A: Nur für den
Direktor bestimmt.« Teilnehmer: Direktor Hoover, Spe-
cial Agent Kemper Boyd.
JEH: Mr. Boyd?
KB: Guten Morgen, Sir.
JEH: Es ist in der Tat ein guter Morgen. Rufen Sie
von einem sicheren Telefon an?
KB: Ja. Von einem Münzfernsprecher. Sollte die Ver-
bindung schlecht sein, hängt das damit zusammen,
daß ich aus Miami anrufe.
JEH: Hat Kleiner Bruder Sie bereits eingestellt?
KB: Kleiner Bruder ist kein Zeitverschwender.
JEH: Erklären Sie Ihre rasche Einstellung. Nennen Sie,
wenn nötig, Namen.
KB: Kleiner Bruder begegnete mir zunächst mit
Mißtrauen, und das wird wohl eine Zeitlang
so bleiben. Ich bin Großem Bruder zufällig im
Büro von Sally Lefferts begegnet, und unter den
gegebenen Umständen ergab sich ein privates
Gespräch fast zwangsläufig. Wir sind auf einen
Drink gegangen und haben einen Draht zuein-
ander gefunden. Wie viele charmante Männer ist
Großer Bruder für Charme auch empfänglich. Wir
haben beide was füreinander übrig, und ich bin
sicher, daß er Kleinen Bruder aufgefordert hat,
mich einzustellen.
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JEH: Beschreiben Sie die »Umstände«, von denen Sie
gesprochen haben.
KB: Wir haben entdeckt, daß wir beide elegante und
auffallende Frauen mögen, und gingen in die May-
flower Bar, um uns darüber auszutauschen. Großer
Bruder hat bestätigt, daß er 1960 antreten wird
und daß Kleiner Bruder mit der Vorbereitung für
den Wahlkampf beginnt, sobald das Mandat des
McClellan-Untersuchungsausschusses ausläuft, also
kommenden April.
JEH: Weiter.
KB: Großer Bruder und ich haben uns über Politik
unterhalten. Ich habe mich als ungehörig liberal,
gemessen an FBI-Maßstäben, beschrieben, die
Großer Bruder –
JEH: Sie haben keinerlei politische Überzeugungen,
was unter den gegebenen Umständen erheblich zu
Ihrer Effizienz beiträgt. Weiter.
KB: Großer Bruder hat sich für meine angeblichen
politischen Überzeugungen interessiert und in der
Folge einiges preisgegeben. Er ließ mich wissen,
daß er den Haß von Kleinem Bruder auf Mr. H.
zwar berechtigt, aber übertrieben findet. Sowohl
Großer Bruder wie Vater haben Kleinen Bruder zu
einem strategischen Rückzug und einem Vergleich
mit Mr. H. gedrängt, sofern dieser seine Organisa-
tion säubert, aber Kleiner Bruder hat abgelehnt.
Meiner Einschätzung nach ist Mr. H. gegenwärtig
auf rechtlichem Wege unangreifbar. Großer Bruder
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teilt diese Meinung, das tun auch mehrere Untersu-
chungsbeauftragte des Ausschusses. Sir, ich halte
Kleinen Bruder für wild entschlossen und kompe-
tent. Mein Gefühl sagt mir, daß er Mr. H. zu Fall
bringen wird, aber nicht kurz- oder mittelfristig.
Ich glaube, daß dies Jahre dauern und zahlreiche
Anklageerhebungen erfordern wird und keinesfalls
in dem zeitlichen Rahmen erfolgt, auf den sich das
Mandat des Untersuchungsausschusses beläuft.
JEH: Das heißt, daß der Ausschuß den Ball an die
städtischen Anklagejurys abgibt, sobald das Man-
dat ausläuft?
KB: Ja. Ich glaube, daß die Brüder erst in etlichen Jah-
ren politisch von der Geschichte profitieren werden.
Und ich halte auch einen Rückschlag für Großen
Bruder nicht ausgeschlossen. Demokratische Kan-
didaten können es sich nicht leisten, als gewerk-
schaftsfeindlich angesehen zu werden.
JEH: Eine scharfsinnige Bemerkung.
KB: Danke, Sir.
JEH: Hat Großer Bruder meinen Namen erwähnt?
KB: Ja. Er weiß um Ihre umfangreichen Akten über
Politiker und Filmstars, die Sie als subversiv ein-
schätzen, und fürchtet, Sie könnten auch eine Akte
über ihn angelegt haben. Ich gab ihm zu verstehen,
daß Ihre Akte über seine Familie etwa tausend
Seiten umfaßt.
JEH: Sehr gut. Wären Sie nicht so offen gewesen,
hätten Sie Ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt.
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Worüber haben Sie sich mit Großem Bruder noch
unterhalten?
KB: Hauptsächlich über Frauen. Großer Bruder erwähn-
te eine für den 9. Dezember geplante Reise nach Los
Angeles. Ich gab ihm die Telefonnummer einer zur
Promiskuität neigenden Frau namens Darleen Shof-
tel und drängte ihn, mit ihr Kontakt aufzunehmen.
JEH: Glauben Sie, daß er bei ihr angerufen hat?
KB: Nein, Sir. Aber ich denke, er wird’s tun.
JEH: Was für Aufgaben haben Sie bisher für den Aus-
schuß
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