Ein amerikanischer Thriller
den Atem an.
Kemper kannte sich aus: Hoover würde genau zwanzig Mi-
nuten zu spät kommen.
Er will Ward einschüchtern. Und ich soll ihn dabei
unterstützen.
Den Bericht hatte er bereits telefonisch durchgegeben:
Der Shoftel-Job war vorbildlich gelaufen. Ein Agent in Los
Angeles hatte den Auftrag, die Abhöreinrichtungen zu über-
wachen und die interessanten Bänder an Littell in Chicago
zu übermitteln. Abhör-As Ward würde die Bänder schneiden
– und die besten Ausschnitte an Mr. Hoover schicken.
Jack wurde nicht vor dem 9. Dezember in L. A. erwartet.
Darleen Shoftel brachte es auf vier Nummern pro Nacht – der
Mann auf dem Horchposten war von ihrem Durchhaltever-
mögen beeindruckt. In der L. A. Times erschien eine knappe
Meldung über Sol Maltzmans Selbstmord. Mr. Hoover meinte,
Pete Bondurant habe ihn wohl etwas rüde »gefeuert«.
Ward schlug die Beine übereinander und zupfte an der
Krawatte. Bloß nicht: Mr. Hoover kann Zappelphilippe nicht
leiden. Er hat uns herbefohlen, weil er dich belobigen will
– also bitte, zappel nicht.
Hoover betrat den Raum. Kemper und Littel standen auf.
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»Guten Morgen, Gentlemen.«
»Guten Morgen, Sir.« Unisono.
»Ich fürchte, ich werde mich kurz fassen müssen. Ich habe
gleich ein Treffen mit Vizepräsident Nixon.«
»Ich freue mich, Sie zu sehen, Sir«, sagte Littell.
Kemper hätte am liebsten nach Luft geschnappt: keine
Kommentare, und wenn sie noch so beflissen waren.
»Mein Terminkalender zwingt mich dazu, mich kurz zu
fassen. Mr. Littell, ich weiß die Arbeit, die Sie und Mr. Boyd
in Los Angeles geleistet haben, zu schätzen. Deswegen gebe
ich Ihnen eine Position bei der Top-Hoodlum-Abteilung
Chicago. Damit setze ich mich über den Einspruch des SAC,
des Leitenden Sonderagenten der Außenstel e Chicago, Leahy,
hinweg, der Sie als besonders geeignet für Überwachungs-
aufgaben einstuft. Mir ist durchaus bekannt, Mr. Littel , daß
Sie die Kommunistische Partei der USA für harmlos, wenn
nicht für moribund halten. Diese Einstellung erscheint mir
gefährlich leichtsinnig, und ich hoffe, Sie werden sich eines
Besseren belehren lassen. Sie sind jetzt ein direkter Mitarbeiter
von mir, nur lassen Sie sich deswegen nicht das Leben mit
der Gefahr zu Kopf steigen. Darin ist Ihnen Kemper Boyd
weit überlegen.«
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(Washington, D. C., 8. 12. 58)
Littell studierte Akten. Im Bademantel, grandios verkatert,
denn sie hatten bis spät in die Nacht mit Cordon Rouge
und Glenlivet gefeiert. Die Spuren, leere Flaschen und Ser-
vierwagen mit unberührten Speisen, waren noch im Zimmer
zu sehen.
Kemper hatte sich beherrscht. Er nicht. Hoovers »Kürze«
hatte ihm arg zugesetzt; Champagner und Scotch halfen ihm,
mit Humor darüber hinwegzukommen. Kaffee und Aspirin
halfen kaum gegen den Kater.
Der Flughafen war wegen eines Schneesturms gesperrt –
so saß er im Hotelzimmer fest. Hoover hatte ihm die Akte
in Kopie zum Studium zukommen lassen.
CHICAGO TOP HOODLUM SQUAD VERTRAULICH:
KRIMINELLE ELEMENTE, ORTE, VORGEHENS-
WEISE UND WEITERE BEOBACHTUNGEN.
Die Akte umfaßte 60 Seiten und war mit Details vollgestopft.
Littell warf noch zwei Aspirin ein und unterstrich die wich-
tigsten Fakten.
Gegenwärtiges Ziel des Top-Hoodlum-Programms (FBI-
Direktive Nr. 3401 vom 19. 12. 57) ist die nachrichten-
dienstliche Erfassung der Aktivitäten des organisierten
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Verbrechens. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und bis zur
ausdrücklichen Mitteilung einer Änderung ist jegliches
Ermittlungsmaterial ausschließlich dem künftigen Einsatz
vorbehalten. Das THP hat kein Mandat zur Ermittlung
von Beweisen, die eine direkte strafrechtliche Verfolgung
durch Bundesbehörden nach sich ziehen. Durch elektro-
nische Überwachungsmaßnahmen ermittelte Erkenntnisse
über Kriminelle können nach Maßgabe des SAC an lo-
kale Polizei- und Strafverfolgungsbehörden weitergereicht
werden.
Die elliptischen Vorgaben liefen auf eines hinaus: Hoover
weiß, daß man den Mob nicht verfolgen und dabei jedesmal
gewinnen kann. Für gelegentliche Verurteilungen mag er das
Prestige des FBI nicht aufs Spiel setzen.
THP-Squads können nach eigenem Ermessen elektronische
Überwachungsmaßnahmen durchführen. Die Register,
Mitschnitte und Transkripte sind peinlich genau zu füh-
ren und periodisch dem SAC zur Beurteilung vorzulegen.
Carte blanche für Abhörmaßnahmen – gut.
Die THP-Abteilung Chicago hat elektronische Überwa-
chungsmaßnahmen
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