Ein amerikanischer Thriller
sie mir nachgelaufen.«
»Im Grunde ihres Herzens ist Helen Agee ein College-
mädchen, das sich wie ein Lastwagenfahrer gebärdet. Denk
dran, wenn’s zu kompliziert wird.«
Littell lachte und rückte im Hinausgehen die Kleidung
zurecht. Seine Haltung war gut, aber die verbogene Brille
mußte verschwinden. Idealisten gaben wenig auf ihre Er-
scheinung. Ward hatte keinen Sinn für schöne Dinge.
Kemper bestellte einen zweiten Martini und beobachtete
die hinteren Nischen. Er schnappte Gesprächsfetzen auf – die
Kongreßabgeordneten unterhielten sich über Kuba.
John Stanton vom Geheimdienst hatte Kuba als Krisen-
herd bezeichnet. Vielleicht, hatte er gesagt, können Sie da
was für mich erledigen.
Jack Kennedy kam herein. Lyndon Johnsons Rotschopf
schob ihm unter der Serviette eine Nachricht zu.
Jack erblickte Kemper und zwinkerte ihm zu.
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Zweiter Teil
Absprachen
Januar 1959 bis Januar 1961
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(Chicago, 1. 1. 59)
Unidentifizierter Mann Nr. 1: »Bart, Schmart. Ich weiß nur
eins, Mo ist verdammt noch mal echt genervt.«
Unidentifizierter Mann Nr. 2: »In Kuba ist die Firma
immer auf Nummer Sicher gegangen. Santo T. ist Batistas
scheißbester Freund. Ich hab’ vor etwa einer Stunde mit Mo
gesprochen. Er holt die Zeitung und setzt sich für das Schei-
ßendspiel vor die Glotze. Und da steht doch, ein scheißgutes
Neues Jahr, Kuba wird gerade von Castro übernommen, und
ob der nun für die USA, die Russen oder die Marsbewohner
ist, kann keiner wissen.«
Littell kippte den Stuhl nach hinten und rückte die Kopf-
hörer zurecht. Es war 4 Uhr nachmittags, und es schneite
– aber die Klatschbasen in Celanos Schneiderei klatschten
munter weiter.
Er hielt sich allein im Abhörposten des Top-Hoodlum-
Kommandos auf. Gegen die FBI-Bestimmungen und
Mr. Hoovers ausdrückliches Verbot.
Mann Nr. 1: »Santo und Sam müssen sich mit den Ca-
sinos da unten dumm und dämlich verdienen. Die sollen
netto eine halbe Million pro Tag abwerfen.«
Mann Nr. 2: »Mo sagt, Santo habe ihn unmittelbar vor
dem Anstoß angerufen. Den übergeschnappten Scheißku-
banern in Miami knallen jetzt sämtliche Sicherungen durch.
Mo ist am Taxistand beteiligt, du weißt, welchen ich meine?«
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Mann Nr. 1: »Ja, Tiger Kab. Ich war letztes Jahr beim
Teamsterkongreß und hab mir die nächsten sechs Monate
orangeschwarze Fitzelchen aus dem Arsch pulen können.«
Mann Nr. 2: »Die eine Affäre dieser kubanischen Scheißer
ist für den Bart, die andere für Batista. Santo hat es Sam
erzählt, am Taxistand geht es zu wie im Irrenhaus, wie bei
den Niggern, wenn der Sozialhilfescheck nicht kommt.«
Aus der Lautsprecherbox drang Gelächter – von Statik-
geräuschen durchsetzt und übersteuert. Littell nahm seine
Kopfhörer ab und reckte sich.
Noch zwei Stunden bis Feierabend. Neues hatte er nicht
erfahren: Kubas Innenpolitik ließ ihn kalt. Er hatte zehn
Tage auf dem Lauschposten abgesessen – und keinen einzigen
soliden Hinweis in Händen.
Special Agent Court Meade und er hatten heimlich den
Dienst getauscht. Meades Freundin wohnte in Rogers Park,
in unmittelbarer Nachbarschaft von ein paar Führern kom-
munistischer Zellen. So beschlossen sie einen Handel: Ich
erledige deinen Job, du übernimmst meinen.
Zur Wahrung des Scheins ließen sie sich gelegentlich an
ihrem offiziellen Arbeitsplatz sehen und tauschten laufend
Berichte aus. Meade stellte Kommunisten und einer durch
eine Versicherungsprämie reich gewordenen Witwe nach. Er
belauschte Gangstergespräche.
Court war faul, hatte einen gesicherten Pensionsanspruch
und gehörte dem FBI seit siebenundzwanzig Jahren an. Er
war vorsichtig. Er versuchte alles in Erfahrung zu bringen,
was es über Kemper Boyds verdeckte Ermittlung bei den
Kennedys zu erfahren gab. Er gab detaillierte Berichte über
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die Roten ab und fälschte Meades Unterschrift auf den Do-
kumenten des Top-Hoodlum-Programms.
Er behielt ständig die Straße im Auge, ob andere Agenten
auftauchten. Er betrat und verließ den Lauschposten stets
ungesehen.
Es klappte – vorerst. Das nichtssagende Geplapper, das
er zu hören bekam, war quälend – er mußte sich einen
Informanten beschaffen.
Er hatte Lenny Sands zehn Nächte hintereinander be-
schattet. Sands hielt sich nicht gewohnheitsmäßig an Ho-
mosexuellen-Treffpunkten auf. Seine sexuelle Orientierung
war keineswegs eine Garantie dafür, daß er sich als Spitzel
hergab; gut möglich, daß er sich
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