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Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Spielwiesen der Verderbtheit gefunden zu haben. Und heute kam sie ihm … lebenslustig und liebeskrank vor. Sie war in Jules verliebt. Jetzt, da er es endlich erkannte und zurückblickte, konnte sich Marcel an keine Zeit erinnern, in der Claire Jules nicht völlig offensichtlich geliebt hatte.
    Und aus irgendeinem Grund erhörte Jules sie nicht. Aber weshalb? Auch in seinen Augen konnte Marcel Liebe erkennen. Was hielt ihn zurück? Wenigstens verstand Marcel jetzt, dass man jede Art von Zerstreuung wahrnehmen musste, um ein wenig abgelenkt zu sein, wenn man jemanden Hunderte von Jahren liebte und diese Liebe nicht erwidert wurde. Von dieser Warte aus betrachtet, war es sehr viel einfacher, Mitgefühl mit Claire zu empfinden, ja sogar ihren Mut zu bewundern.
    Und dann … Sophie. Diese ganze Sache verblüffte ihn immer noch maßlos. Vor langer, langer Zeit hatte Sophie ihn geliebt, sich nach ihm verzehrt. Und er hatte es nie gemerkt. Er hatte sich ganz auf eine Person – auf Cerise – konzentriert und nie nach links oder rechts geschaut.
    Wieder erhoben sich die Leute um ihn herum. Gedankenverloren begann Marcel, das Ausgangslied zu singen.
    Singend und die Hände zum Gebet gefaltet, schritt der Priester in seiner weißen Albe und dem bestickten Messgewand an ihm vorbei. Alle reihten sich hinter ihm ein: der Diakon, die Ministranten, der Chor.
    Sophie hatte ihn geliebt. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen. Marcel verzog das Gesicht. Natürlich war sie immer noch hübsch. Wie lange hatte sie sich nach ihm gesehnt, bevor sie schließlich aufgegeben hatte? Wie viele scheue Signale, Blicke und bescheidene Annäherungsversuche hatte es gegeben, die ihm entgangen waren?
    Beinahe aufstöhnend massierte sich Marcel die Schläfen und wartete, bis er aus der Bank heraustreten konnte.
    Sophie. Er hatte seine Chance verpasst.
    Marcel ging hinaus in einen feuchten, zu warmen Sonntagnachmittag. Der Himmel war wolkenverhangen und eine Brise trug den Geruch von Regen herbei. Ziellos lief er über die Schieferplatten, die den Jackson Square umgrenzten.
    Sophie. Auf eine ruhige, sehr feminine Weise war Sophie wunderschön. Sie war einer der wenigen, wirklich netten Menschen, die er je kennengelernt hatte, vollkommen frei von Habgier, Niedertracht oder Wut.
    Wie wäre sein Leben verlaufen, wenn er Sophie statt Cerise geliebt hätte? Er wäre ebenfalls geliebt worden, anstatt eine Nummer ausgehändigt zu bekommen, für den Fall, dass Richard mal nicht in ihrem Bett lag.
    Säure brannte in seinem Magen, und er zwang sich, seine Wut zu bändigen. Es war alles so lange her. Richard war nur ein Kind gewesen. Das hatte Marcel erst vor Kurzem begriffen. Erst fünfzehn. Und Cerise vier Jahre älter – sie hätte es besser wissen müssen. Auf gewisse Art hatte sie Richard ausgenutzt. Und Marcel, sie alle beide. Sie hatte bekommen, was sie wollte, ohne einem von ihnen zu geben, was sie wollten. Marcel fand sich an der Ecke St. Ann und Chartres wieder.
    Sophie.
    Sophie und Manon hatten sich getrennt – möglicherweise für immer. Marcel wandte sich um und lief in Richtung Französisches Viertel. Vielleicht würde Axelle irgendwo zu Mittag essen wollen. Oder Claire oder Jules.
    Marcels Mund verzog sich zu einem etwas überraschten Lächeln. Er hatte Freunde.

Kapitel 20
    Was tun?, sprach Zeus
    » Marcel, hm? Ich muss zugeben, das habe ich nicht mitgekriegt.« Claire gab Sophie einen Snickers-Riegel und legte sich auf Jules’ pinkfarbenes Futon-Sofa. Sie riss das Ende ihrer eigenen Snickers-Packung auf und biss von dem Riegel ab.
    Sophie nickte elend und sah die Schokolade an, als benötige sie eine Gebrauchsanweisung.
    » Zieh’s dir rein, Liebes«, meinte Claire kauend.
    Mit einem Blick, als habe sie nichts zu verlieren, machte Sophie vorsichtig die Verpackung auf und nahm einen zaghaften Bissen. Claire versuchte angestrengt, nicht die Augen zu verdrehen. Himmelherrgott, das war ein ganz normaler Snickers-Riegel. Wo bitte hatte Sophie denn bis jetzt gelebt?
    Da Jules keine Papiertaschentücher hatte, standen eine Rolle Klopapier und eine Tüte mit bereits durchnässtem Papier neben Sophies Stuhl.
    » Ich habe nie gewollt, dass jemand davon erfährt«, sagte Sophie. Ihre Stimme war belegt vor lauter Schokolade und Tränen. » Ich habe es Manon nur gesagt, weil …« Sie schniefte erneut und biss noch einmal in die erdnussige Herrlichkeit. » Ich habe es ihr gesagt, nachdem wir … nach dem Ritus Freunde geworden sind. Als sie mir vom Alter

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