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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Kunstmappen und leeren Besteckkästen, der Bettisch und einige gerahmte Lithographien. «So», sagte Leo befriedigt und kroch rückwärts, mit zerstrubbeltem Haar, aus der Abseite hervor, «und was haben wir jetzt noch alles?»
    Verzweifelt wies ich die Treppe hinunter. «Moment», sagte er, schaute schlau und holte die Leiter vom Balkon, auf dem die Petunien in schönster Blüte sich in den Blumenkästen wiegten und die Vorübergehenden zu begeisterten Äußerungen verleiteten.
    «O Gott», rief ich, «doch nicht aufs Dach?»
    Leo stieß mit der Leiter eine Klappe über sich auf. In dem dunklen, niedrigen Raum direkt unter der Dachpappe und den Schindeln konnte man zwar nicht aufrecht stehen, nicht einmal sitzen, wohl aber ein Vierteljahrhundert gutbürgerliches Zeitalter verstauen. Leo ging in den Liegestütz, und ich reichte ihm Glaslüster, bronzene Stehlampen, Waschgeschirre mit blauem Klatschmohn und Papas Farbenmühle, die sich als doch nicht so unumgänglich notwendig erwiesen hatte. Auf den Sprossen der Leiter stehend, ragte ich mit dem Kopf in eine andere Welt hinein. Es war dort sehr heiß, sehr staubig und roch nach warmem Holz und dem Torfmull, mit dem das Wasserreservoir umkleidet war. Durch eine Ritze in der südlichen Giebelwand hatte sich ein Völkchen Wespen eingeschlichen und ein hübsches graues Nest gebaut. Wir schoben diejenigen Gegenstände, die wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren sicherlich nicht brauchen würden, vorsichtig bis kurz vor ihr Hoheitsgebiet und sausten dann die Leiter hinunter.
    Nun war ein Bad im See fällig. Danach krochen wir erfrischt zwischen den Weidenbüschen herum und holten alles Reisig und alles Treibholz zu einem Riesenwiedereinzugsfreudenfeuer zusammen.
    Ulf scharrte sich eine Grube im Kies des Strandes. Seine Ahnenreihe hatte ihm das Wissen weitergegeben, daß der Kies weiter unten kühler war. Doch danach legte er sich seufzend und befriedigt pustend einige Meter entfernt nieder. Vielleicht war unter seinen Ahnen ein Schäferhund, der ein bißchen blöd im Kopf war. Als das Feuer prasselnd aufloderte, war es fast ganz dunkel geworden, und die Flammen spiegelten sich im schwarzen Wasser. Dann plätscherten Ruderschläge, und ein Boot kam heran.
    «Was brennt denn da?» fragte eine Stimme aus der Finsternis.
    «Holz», erwiderte Leo lakonisch.
    «Ja, warum denn?» fragte es wieder.
    Wir schwiegen verstimmt, und Papa sagte dem Hund ganz leise ins Ohr: «Putz sie weg, die Rindviecher!» worauf Ulf sich mit wütendem Gekläff erhob. Kurz danach knallte es furchtbar im niedergebrannten Feuer.
    «Was war denn das?» fragte Mama erschreckt.
    Leo erwiderte träumerisch: «Das ist eine Schuhkremdose Marke Kavalier, die seit vorigem Juni hier liegt und jetzt endlich explodiert ist.»
    Als das Feuer mit viel Kies erstickt worden war, saßen wir noch im Mondlicht vor dem Hause, erfüllt von Besitzerstolz über die neue, windgeschützte Ecke, die sich zwischen Altbau und Neubau gebildet hatte. Wir hatten eine Himbeersaftflasche und Gläser bei uns und füllten, damit auch die Reste in der Flasche sich lösen sollten, immer wieder Wasser hinein und schüttelten sie kräftig. Die letzte halbe Stunde tranken wir klares Wasser.
    Am nächsten Morgen ging Leo, der Listenreiche, in den kleinen Waschraum und maß lange mit dem Zollstock darin herum. Dann verschwand er in Richtung Schlosser. Am Donnerstag schon kam ein Blechsarg den Feldweg heruntergewandelt, darunter zwei Paar Beine in grüngrauen Wadenstrümpfen, die zu Leo und dem Schlossersepp gehörten. Was da kam, war das Ei des Columbus: Die Wanne nach Maß. Sie paßte genau zwischen Kamin und Außenwand, wenn man sie etwas klemmte. Wer die Knie ganz dicht unters Kinn zog, konnte ausgezeichnet darin baden. Das Gästebuch enthält einige Lageskizzen von Gästen, die bei uns warm gebadet haben. Schade, Picasso war nicht darunter, dem hätte das Freude gemacht. Mama waren anfangs ein paar Bedenken anzumerken. Leo mißverstand sie und fand, wenn wir nicht zurechtkämen, könnten wir jederzeit bei jenen Varietékünstlerinnen anfragen, die in einen Korb gesteckt und mit Säbeln durchbohrt würden, und uns dort Rat holen. Mama meinte aber eigentlich nur die Farbe des Blechs und wie bald es bei unserem kalkhaltigen Wasser noch unansehnlicher sein würde. Ein Heißwasserofen, der über der Wanne Platz hatte, wurde antiquarisch aufgetrieben. Er stammte wohl noch aus dem Haushalt des Bürgerkönigs Louis Philippe und speiste von

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