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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Wasser, atmete nach dem Trinken tief aus und erklärte, die Stangen seien für die Tabakplantage, die er jetzt im Garten anzulegen gedächte. Bei uns sei doch wohl eine Hausknechtstelle frei? Er bitte, ihn bei dieser Ausschreibung zu berücksichtigen. «Du, reichsdeutsche Mutter», rief er mir zu, «wo kriege ich garantiert reinen Hühnermist her, den brauch ich, wenn auf diesem kargen Boden eine Tabakplantage gedeihen soll...»
    Wir küßten ihn, griffen auf einige Nährmittelmarken der nächsten Woche vor, um ihm einen Willkommenspudding zu kochen, und bezogen sein Bett für den Rest des Krieges. Damit ist nicht gesagt, daß wir die Laken nicht von Zeit zu Zeit gewaschen hätten.
    Was das Waschen anbelangt, so war es damals bereits ebenso zum Problem geworden wie manches andere. Man fing an, in alten Büchern nachzuschlagen und raunte sich hinter der Hand Geheimrezepte zu. So etwa sollten Leintücher, die man mit Holzasche wusch, ganz schön weiß werden, wenn auch ein dunkleres Weiß, ein Marine-Weiß sozusagen. Für Strümpfe und Charmeuseunterwäsche dagegen, so hieß es, sei Efeulauge das beste. Mama und ich blickten einander bang an. Sollte man den Efeu vorher auskochen und dann das Wasser verwenden, oder sollte man Efeu und Strümpfe zugleich einweichen? Was immer man verwendete, und sei es nur das Wasser aus der Regentonne, es war besser als die einmal monatlich zugeteilte Einheitsseife Marke R.I.F., deren beschwörende Buchstaben nur eines bedeuteten: das Ruhe in Frieden für unsere Abflußrohren. Eine nach der anderen setzte sich zur Ruhe, und obwohl der herbeigerufene Schmied den Hut nach vorne schob, sich am Hinterkopf kratzte und sich äußerte, bei uns sei infolge des Wasserreservoirs vielleicht der Druck nicht groß genug — wir blieben dabei, daß die R.I.F.-Seife an allem schuld sei. Schließlich, als alles Auspumpen mit dem Gummisauger nichts nutzte, grub Leo zusammen mit einem kräftigen Seehamer Mitbürger die Abflußrohre zur Sickergrube auf.
    Wir staunten! Da hatte doch die Weide, die droben am Dach ihre Krone im Winde wiegte, als wüßte sie nichts davon, ihre zarten Haarwurzeln in die Ritzen zwischen den einzelnen Tonröhren gesenkt. Sie waren im schattigen, feuchten Klima unserer Zahnputzwässer prachtvoll gediehen und bildeten nun halbmeterlange verfilzte Verhaue, die die Röhren nahezu ausfüllten. Die wirren Knäuel wurden entfernt und Mama und ich drehten mit dem begeisterten Gefühl eines Menschen, der wieder frei durchatmen kann, in der Küche den Wasserhahn auf.
    «Es läuft ab, es läuft ab», riefen wir den Männern zu, die gebückt über dem Graben lauschten. Dicki patschte bereits fröhlich verdreckt darin herum. In der Freude unseres Herzens ließen wir immer weiter Wasser laufen und ergötzten uns an den saugenden Wirbeln, die sich im Küchenausguß bildeten.
    Jede zu lange ausgedehnte Wollust muß man büßen. Plötzlich war das Wasser zu Ende und wir konnten kein neues ins Reservoir hinaufpumpen, weil der Strom für den Motor fehlte. Der elektrische Strom wurde täglich zu den verschiedensten Zeiten abgeschaltet, nach einem Fahrplan, der noch schwerer zu überblicken war als seinerzeit der des Dampfers. Wir ließen die Pumpe angeschaltet und sie brummte los, wann es ihr und dem Elektrizitätswerk gefiel. Zugleich begann im Wohnzimmer das Radio zu blöken, aus dem man nicht mehr viel Gutes hörte. Der tückische Feind, der uns den Krieg aufgezwungen hatte, litt augenscheinlich sehr an seinen Folgen, und es blieb ein Rätsel, wie er es fertigbrachte, uns weiter so fröhlich zu bombardieren. Stellenweise schien er sogar ins Fand gedrungen zu sein und ein Minister forderte uns auf, uns in die heilige deutsche Muttererde einzukrallen und ihn dadurch zum Stehen zu zwingen.
    «Als ob ich etwas anderes täte, als mich in die heilige deutsche Muttererde einzukrallen», knurrte Leo aus seinem Karottenbeet. Er war nun schon eine Weile hauptberuflich Gärtner und darin unermüdlich. Das Doppelfenster aus dem Klo hatte er ausgehängt. Es sei dort völlig überflüssig, beschloß er, und benutzte es als Deckel für ein Warmbeet neben dem Fliederbusch. Der saure Torfboden, der nicht einmal zu einem Rasen taugte, gab nur ungern die Ernährungsbasis für eine fünfköpfige Familie ab. Leo hatte sich einige Schriften über Einteilung und Pflege des Gemüsegartens gekauft. Sie waren im übrigen das einzige, was die Buchhandlung in der Kreisstadt außer Broschüren über die Gefahren der

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