Ein Baum wächst übers Dach
Runde Streckbutter extra ausgegeben wird.»
«Frieden?» fragte Mama ein wenig zweifelnd. Dicki saß stillvergnügt neben ihr und schwatzte vor sich hin. Ich wurde nicht müde, in tiefer Dankbarkeit Michaels heilgebliebene Arme und Beine abzutasten, und was ich äußerte, war nicht gerade intelligent: «Du bist da, du bist wirklich da.»
Die Sonne schien, die Vögel lärmten, der Flieder hatte dicke Knospen: wenn ich gewußt hätte, was ich für meine zahlreichen Lieben zu Mittag kochen sollte, so hätte ich mich unter die Glücklicheren der Sterblichen gezählt. Sollte ich die letzten verschrumpelten Karotten opfern, die wir in einer Sägemehlkiste aufgehoben hatten?
Alle Sorgen liefen weiter, nur einer machte Michael sofort ein Ende: der Wassernot. Er stellte fest, daß das Versagen der Pumpe nicht auf das Kriegsende und auch nicht auf den ständigen Strommangel zurückzuführen sei, sondern darauf, daß sich drunten im Brunnen ein Mehlwurm oder Wasserfloh ins Ansaugventil geklemmt hatte. Er nahm mein letztes feines Passiersieb — es sah aus wie eine überfahrene Schildkröte — , lieh sich eine lange Leiter und stieg in den kühlen, tropfenden Schacht. Ich saß auf dem Rand der Brunneneinfassung und blickte dem Passiersieb nach. Wir würden eben künftig gröberes Apfelmus essen müssen, das sättigte ja auch besser. Wenn Michaels Baskenmütze auftauchte, freute ich mich, daß es keine Kopfbedeckung mit Kokarden und Schnüren war, und benutzte die Gelegenheit, ihn zärtlich hinter den Ohren zu kraulen. Von weitem sah es aus, als seien wir ein Paar aus einem Märchen von Brentano oder Fouque. Erst gegen elf Uhr vormittags kam ich endlich dazu, das Erdbeerbeet zu jäten und stieg gerade zwischen die Pflanzen, als sich ein Getöse auf dem Dorfweg näherte: die Amerikaner auf ihren Panzern, Trucks und Jeeps. Dicki lief zum Gartentor und deutete begeistert mit dem Finger: «Eisenhauer, da is er! Eisenhauer!» rief er.
Ich richtete mich auf und sah erschrocken eine ganze Armee näherkommen. Was zum Teufel wollten die Amerikaner in einem so abgelegenen Flecken wie Seeham, und wenn schon in Seeham, was dann in einem der abgelegensten Winkel des Dorfes, nämlich bei uns? Fröhlich die Straße zerwühlend, deren Dreckbrocken nach rechts und links spritzten, kamen sie heran, bogen beim großen Lindenbaum am Bach richtig auf uns zu, und dann alle an unserem Hause vorbei. Die Panzerspitzen mochten die stille Kiesgrube erreicht haben, da blieb die Kolonne stehen. Die Panzer jenseits unserer Hecke sahen verblüffend groß aus. Ich machte mich fieberhaft ans Jäten und versuchte, nicht aufzublicken. Der Amerikaner, der aus der Panzerklappe sah, war sehr vergnügt. Es war ein heißer Tag und er hatte, ebenso wie seine Kameraden, seinen Durst überall, wo sie durchkamen, mit fünfundvierzigprozentigem Schnaps gelöscht. Er rief mir, durchaus freundlich und in der Meinung, daß er sich in diesem gottverlassenen Nest keinerlei Zurückhaltung einer Weibsperson gegenüber aufzuerlegen habe, einen unwiedergebbaren Unflat zu. Im ersten Schreck kippte ich mit einem Büschel Unkraut in der Hand nach hinten. Dann besann ich mich, daß man seinerzeit keine Kosten gescheut hatte, um mir profunde Sprachkenntnisse beizubringen. Ich richtete mich voll auf und gab ihm seinen Unflat in reinstem amerikanischen Slang zurück. Nun war es an ihm, vor Staunen den Mund aufzureißen — er rang nach Luft. Aus den anderen Panzern tauchten Köpfe auf und ich hörte anerkennendes Pfeifen.
Die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung und machte schließlich auf der Wiese vor dem Uferwäldchen manöverartige Bewegungen. Die gewaltigen eisernen Fahrzeuge wurden in mehrere Kreise zusammengeparkt und Zelte aufgeschlagen. Es zeigte sich, daß die Vorhut des Generals Patton dasselbe bei uns suchte wie die Sommerfrischler und vormals die Kraft-durch-Freude-Angehörigen: die schöne Gegend. Ein Witzbold malte ein Pappschild mit der Aufschrift: Messhall Bellevue und hängte es neben die Gulaschkanone in die Weiden des Ufers. Mancher Gl stand nun am See, kaute ein Sandwich und betrachtete sich jenen Horizont voller Weite, Bläue und Grazie, der vor vielen Jahren meine Eltern in seinen Bann geschlagen hatte.
Alles, aber auch alles führte der Sieger mit sich: Duschen und Fußbälle, Waffen und Angelzeug, Fahrzeuge jeder Art und Größe. Von weitem sah es so aus, als habe er auch die an sein Lager angrenzende überdimensionale Hundehütte mit sich geführt: unser
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