Ein Baum wächst übers Dach
müßig: Leo hockte am Schuppen und beschäftigte sich damit, die uralten Kartoffeln aus den Kellern der Flakbaracke zu waschen und zu entkeimen. Papa füllte aus verschiedenen Kanistern stinkende, aber wertvolle Öle um und ineinander. Der Vetter schnitt gerade den Boden aus einem leeren Benzinfaß und schenkte solchermaßen dem Hause eine neue Regentonne. Die alte, hölzerne war völlig zerfallen. Mama saß auf der Veranda in der Sonne und kratzte mit einem spitzen Küchenmesser den Schimmel aus den Ritzen zweier gefundener Kommißbrote. Dicki hatte im Sandhaufen einen Teich gemacht, in dem er den Ameisen das Schwimmen beibrachte. Die Weide und die Birke wiegten sich im Winde, die Vögel hielten sich mit den Krällchen in den schwankenden Zweigen fest und sangen unvermindert laut und triumphierend. Es war ein schönes Bild und überzeugte mich davon, daß auch wir alles Kommende überstehen würden. Wenn nur Michael schon da wäre... «Ich habe was Komisches gefunden, es liegt hinter dem Wäldchen in einer Grube», sagte der Vetter. «Es riecht nicht, sieht aus wie Erbswurst, ist hart und bröcklig und glimmt, wenn man es anzündet. Wenn ihr wollt, hole ich euch noch einen Waschkorb voll.»
«Kinder, seid bloß vorsichtig», sagte Mama ängstlich, «es ist sicher irgendein Zeug zum Brückensprengen oder so, das die Soldaten weggeworfen haben.»
«Wenn, dann haben sie es zu spät weggeworfen», meinte Leo dazu, «einige der schönsten Brücken zwischen München und Salzburg sollen in letzter Minute hochgegangen sein.»
«Ach so», meinte Papa, «ich habe was gehört, wollte aber nichts sagen, damit es nicht heißt: Bei Papa ist wohl bißchen Kalk gerieselt. Nun zeigt mal her eure Zünd-Erbswurst!»
Die Männer gingen, wie gewöhnlich, der Sache auf den Grund und zündeten einige Brocken auf dem steinernen Brunnendeckel hinten im Garten an, unter dem Undine hauste. Es schien tatsächlich ungefährlich zu sein, glimmte und hielt die Flamme lange.
«Elm», sagten Mama und ich. Zeitungen erschienen keine mehr, und mit den paar auf dem Nachbaracker aufgelesenen Flugblättern, auf denen Eisenhower zur Kapitulation aufgefordert hatte, ließ sich der Herd nur schwer in Gang bringen. «Schön, seid so gut und holt uns noch einen Vorrat. Wir vergraben ihn hinten am Schuppen bei der wilden Brombeere. Vielleicht nimmt es uns jemand übel, daß wir deutsches Heeresgut verwenden.»
Todmüde sank ich ins Bett, noch nie war es auf dem Kopfkissen so gemütlich gewesen. Dennoch schlief ich nur leicht und hörte nachts um zwei Uhr die Schritte auf dem Gartenkies sofort. Wollte wieder jemand eine zivile Hose? Ich fuhr auf und in die Pantoffeln. Nein, es waren natürlich die Amerikaner. Eine Vorhut wollte wohl Bestand aufnehmen.
Durch die Glasscheibe der Verandatür schaute ein Gesicht, das mir bekannt vorkam, das Gesicht eines Operettenfürsten, aber bedeutend magerer. Ich hatte ja gewußt, daß auf Sankt Expeditus Verlaß war! Es war tatsächlich Michael. Diesmal durchfeuchtete nicht er mir mit seiner nassen Uniform das Nachthemd, sondern ich ihm die Uniform mit meinen erleichterten Freudentränen. Auch wich unser Dialog etwas vom Üblichen ab.
«Gott sei Lob und Dank, da bist du ja. Der Krieg ist aus!»
«Ja, jetzt ist er wirklich aus.»
«Wie bist du denn hergekommen?»
«Teils auf einem Lastwagendach, teils mit einem geliehenen Fahrrad, den Rest zu Fuß.»
«Bist du denn ordnungsgemäß entlassen?»
«Ja, das bin ich!»
«Und seit wann bist du unterwegs?»
«Seit langem», sagte Michael fröhlich, nur als er sich hinsetzte, atmete er stöhnend aus. Da ich sofort nach Bettwäsche kramte und den Küchenherd heizte, wurde das ganze Haus wach, und seine Bewohner liefen in unterschiedlichen Verkleidungen und unterschiedlichen Graden der Unfrisiertheit zusammen.
Ich schloß die Vordertür wieder ab und gab ihr zum Überfluß noch einen freundlichen Klaps. Die Arche war komplett, alle Tierchen an Bord, nun konnten die Wasser steigen, beziehungsweise fallen. Ich hätte bei dieser einzigartigen Gelegenheit Sankt Expeditus gerne meine letzte Talgkerze auf Abschnitt C VII der Haushaltskarte geopfert, aber es war fast andauernd Stromsperre, und ich brauchte sie, um Dicki nachts aufs Töpfchen zu setzen.
9
«So, und was spielen wir jetzt», fragte Bruder Leo, als wir uns wieder vollzählig in die Eckbank drängten.
«Jetzt», sagte Papa zufrieden, «spielen wir Frieden und Demokratie. Ich bin dafür, daß eine
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