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Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen

Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen

Titel: Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynda Curnyn
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Augen, bevor er hinunter auf seine Gitarre blickte. Vielleicht hatte ich Justin zu etwas gedrängt, wofür er noch nicht bereit war. Und ich machte mir noch größere Sorgen, als er einen Akkord anschlug, stoppte, reumütig lachte und erstmal begann, die Saiten zu stimmen. „Tut mir Leid.“
    Von den disharmonischen Tönen abgesehen, war es so still im Raum, dass ich meinte, eine fast greifbare Aggression zu spüren. Ich sah mich um, musterte die fremden, ungeduldigen Gesichter, die angriffslustigen Blicke. Als ob sie erwarteten – oder sich sogar wünschten –, dass er versagte. Was immer es war, es lag auf jeden Fall eine extreme Spannung in der Luft.
    Ich fragte mich, ob Justin das auch spürte. Vor allem, als er mit dem Stimmen fertig war, seinen Kopf hob und in die Ferne starrte, die Finger wie festgefroren an den Saiten, als hätte er vergessen, wie es ging. Ich hielt den Atem an.
    Schließlich begann er zu spielen, zuerst zögernd, dann mit wachsendem Selbstvertrauen. Es war ein schneller Song, ein Mischmasch aus eingängigen Bluesakkorden. So langsam schöpfte ich Hoffnung, bis Justin zu singen begann. Es lag nicht an der Stimme – die Stimme war genauso schön, wie er selbst. Aber der Text – der Text war ein wenig … merkwürdig.
    Sagte das Blatt zum Baum
:
    Siehst du, was ich sehe?
    Einen frischen, heißen Sonnenstrahl
,
    Der auf mich herabscheint
.
    Foooo – toooo – synthese!
    Foooo – toooo – synthese!
    Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Klar, dass Justin sich ausgerechnet ein Thema aussuchte, über das die Leute seit der achten Klasse nicht mehr nachgedacht hatten. Wie kam er denn auf so was? Das Publikum hielt dieses nette, kleine Liedchen für genauso bizarr, wie ich. Ich sah, wie sich Köpfe zueinander beugten, hörte Gelächter. Doch als Justin in einem Rhythmus weiterspielte, bei dem ich einfach im Takt mit dem Fuß auf den Boden klopfen musste, entdeckte ich, dass ich nicht die Einzige war. Der ganze Raum schien sich zu Justins merkwürdigem Lied hin und her zu bewegen.
    Sagte der Stempel zum Staubgefäß
:
    Was würde aus mir werden
,
    Wenn du mir nicht etwas von diesen
    Taufrischen Pollen gäbest!
    Foooo – toooo – synthese!
    Foooo – toooo – synthese!
    Fo-Fo-Fo-Fo-Fo-Fo-Fo-Fo
    Fotosynthese!
    Damit fängt es an …
    Nach dem zweiten Refrain hatten sich alle diesem Wahnsinn ergeben. Das heißt, alle außer Kirk, der sich zu mir beugte und flüsterte: „Was ist denn
das
für ein Schwachsinn?“
    Ich sah ihn an – besser gesagt, ich funkelte ihn an – und drehte mich dann wieder in Justins Richtung, der gerade begeisterten Beifall erntete. Grace zwinkerte mir zu, als wir wild klatschten. Colin strahlte, und Claudia hob die Augenbrauen, als könnte sie nicht fassen, dass ihr Justins Tribut an das Pflanzenleben gefallen hatte. Kirk verdrehte die Augen und nippte an seinem Bier. Ich ignorierte ihn – was mir nicht schwer fiel, weil Justin sich wieder zum Mikrophon beugte. „Jetzt wird’s ein wenig langsamer“, murmelte er, dann begann er mit einer seelenergreifenden Melodie.
    Solch eine Traurigkeit hätte ich Justin nicht zugetraut, so unbekümmert, wie er immer war. Es war der pure Blues, und die Worte … konnten einem das Herz brechen.
    Eine Fensterbank mit dir teilen
,
    mehr möchte ich nicht
.
    Während ich in die weite, einsame Welt blicke
,
    kann ich nicht vergessen
,
    dass ich sie noch liebe
.
    Nun, da sie fort ist
,
    bin ich verloren
.
    Im Raum war es absolut still. Von Justins klarer, trauriger Stimme abgesehen, die nur ein Mann haben konnte, der einmal geliebt und verloren hatte. Ich war hypnotisiert, so wie alle anderen weiblichen Personen, die Justin träumerisch anblickten.
    Als er den letzten Akkord anschlug, brach das Publikum in tosenden Applaus aus. Grace, Colin und Claudia sprangen auf. Himmel, Claudias Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie kurz davor, ihren Slip auf die Bühne zu werfen.
    Die Leute fraßen ihm aus der Hand, und ich fragte mich, warum ich an ihm gezweifelt hatte. Das war der Justin, der mich von der ersten Sekunde an entwaffnet hatte, der Mann, der mit seinem Lächeln einen ganzen Raum erstrahlen lassen konnte – und jetzt eben mit seinen Liedern. Alle waren wie gebannt, alle außer Kirk, der ungläubig den Kopf schüttelte, als ich mich wieder hinsetzte.
    „Er ist so wunderschön“, sagte Colin zu mir. Kirk beäugte ihn fast angewidert. Doch ich kümmerte mich nicht weiter darum. Justin, offensichtlich ermutigt durch die

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