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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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vier.«
      »Bist du kurzsichtig oder was?«
      »Ja.«
      »Ich bin dick geworden.«
      Während sie diese Banalitäten austauschten, las mein Vater in einem heiligen Text, strich sich über den Bart und rieb sich die Stirn. So wie mich zuvor der Pferdehintern völlig in Bann geschlagen hatte, war ich jetzt ganz Auge und Ohr für dieses Paar, das beinahe Mann und Frau geworden war, sich aber einer Liebesgeschichte wegen einander entfremdet hatte. Beide hatten jetzt jemand anderes, und doch war eine gewisse Nähe geblieben. Sie duzten sich. Sie standen einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber und konnten vom Anblick des anderen nicht genug bekommen.
      »Was für eine Art von Mensch ist dein Mann?« hörte ich ihn fragen.
      »Ein guter Mensch.«
      »Bist du mit ihm glücklich?«
    »Man kann nicht immer glücklich sein.«
      »Fania«, sagte er, »ich habe das Unrecht, das ich dir angetan habe, nie vergessen.«
      Und die Gläser seines Kneifers beschlugen, als hätte jemand sie mit Dampf überhaucht.
      Die Frau antwortete nicht sogleich. In ihrem Gesicht begann es zu zucken. Ich sah einen Schleier in ihren Augen, der zu einer Träne hätte werden können, doch sie hielt sie zurück; sie war zu stolz, nach zwölf Jahren in seiner Gegenwart zu weinen. Sie hob den Kopf. »Ich habe längst alles vergessen.«
      »Fania, Gott hat mich deinetwegen gestraft.«
      »Wie kannst du das sagen? Man kann sich dieser Dinge nie sicher sein.«
      Sie reden; sie murmeln. Vater wartet, aber er ist ungeduldig. Das Gerede und Gemurmel der ehemals Verlobten schmeckt nach Sünde.
      »Sie sind eine verheiratete Frau«, sagt Vater zu ihr. »Und auch er hat Familie. Schenken Sie ihm Vergebung, und der Höchste wird Ihnen beiden helfen.«
      »Ich vergebe ihm«, erklärt die Frau. »Und Gott wird ihm sicher vergeben.«
      »Es ist besser, wenn die Vergebung in Schriftform erfolgt«, sagt Vater.
      Das Wort »Vergebung« bringt mich fast zum Lachen. Im Jiddischen hat es noch eine andere Bedeutung, keine sehr anständige. Ich möchte laut losprusten wie ein kleiner Junge, halte mich aber mit aller Macht zurück. Vater schreibt einige Worte in Hebräisch. Er setzt noch ein zweites Schreiben auf. Der Mann muß der Frau einen Vergebungsbrief geben und sie ihm einen – und beide müssen unterschreiben.
      »Ich kann nur auf polnisch unterschreiben«, sagt die Frau.
      »Schon gut. Hauptsache, es ist unterschrieben«, sagt Vater. Mit großartiger Geste ergreift sie den Federhalter, nimmt ihn zwischen ihre behandschuhten Finger und unterschreibt in bebender Schönschrift mit dem Nachnamen ihres jetzigen Mannes. Aus ihrer Unterschrift sprechen Bildung, Wohlstand und Weltgewandtheit. Nur Leute, die in der Chłodnastraße wohnen und ein Marmortreppenhaus und eine Klingel an der Tür haben, unterschreiben so. Der Mann schreibt seinen Namen in Jiddisch, aber auch seine Unterschrift hat einen modernen Schwung.
      »Wie ist Ihr Vorname?« fragt Vater. »Ich kann ihn nicht lesen.«
      »Zygmunt.«
      »Und wie werden Sie zur Tora aufgerufen?«
      »Zur Tora …? Salman.«
      »Unterschreiben Sie noch einmal«, befiehlt Vater. »Mit Ihrem hebräischen Namen.«
      Der junge Mann unterschreibt mit »Salman«. Vater bekommt einen Rubel, und ich habe ein Vierzigkopekenstück in der Tasche. Das Paar verläßt gemeinsam unsere Wohnung. Ich habe den Eindruck, Vater will sie zurückrufen und sie warnen, daß sie nicht miteinander gehen dürfen, aber bevor er ein Wort sagen kann, sind sie schon auf der Treppe.
      Ich laufe auf den Balkon hinaus und warte darauf, daß sie zum vorderen Haustor herauskommen. Aber es dauert lange, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Sind sie im Hof geblieben? Sind sie im Durchgang? Oder habe ich sie vielleicht verpaßt, und sie sind schon weg? Endlich tauchen sie auf, und er scheint sie am Arm zu halten. Nein, nicht eigentlich zu halten, sondern ihren Ellbogen mit seiner Hand zu stützen. Merkwürdig, wie langsam sie vorankommen. Ständig bleiben sie stehen. Sie gehen nicht in Richtung Chłodnastraße, sondern zur Gnojna. Sie sind offenbar so sehr ins Gespräch vertieft, daß sie nicht einmal merken, wohin sie gehen.
      Ich kenne schon die Romane von Schomer, dem beliebten jiddischen Schriftsteller, und jetzt geht meine Phantasie mit mir durch. Vielleicht, denke ich, will der Mann sie mit sich auf sein Schloß nehmen. Vielleicht ist er ein Graf. Vielleicht ist

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