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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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seine Tochter nicht. Der Mann hier wollte mich heiraten und hat mir sein Wort gegeben. Er hat mir von dieser anderen nichts erzählt. Ich habe beim Bäcker genug geschuftet. Auch ich will eine Übereinkunft. Ich bin kein junges Mädchen und habe lange genug in Bäckereien und Küchen herumgehangen. Auch ich bin ein Mensch! Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ich irgendwas von ihr gewußt habe. Ich schwöre zu Gott, daß ich sie überhaupt nicht kenne. Und wozu braucht er eine solche Frau? Sie ist nichts für ihn. Er braucht jemanden, der ihm in seinem Gewerbe helfen kann. Und was kann sie? Sehen Sie sie doch nur an, Rabbi. Sie ist blind.«
      Vater schlug auf den Tisch, um ihr zu bedeuten, sie solle nicht so ungehobelte Reden führen. Doch sie spie weiter Feuer und Schwefel. Sie nannte die Tochter des Schreibers eine Schlampe, einen Teigkloß, eine blinde Kuh, ein übles Dreckstück, eine Närrin und noch einiges andere.
      Die Schreiberstochter brach in Tränen aus. Der Schreiber neigte den Kopf und murmelte etwas zwischen seinen bläulichweißen Lippen. Vermutlich flüsterte er, er vergebe der Frau die Demütigung, die sie ihm antat, und betete um ihre Vergebung im Himmel. Vater zog sein Taschentuch heraus und wischte sich die feuchten Augen. Ja, so war das Los der Gerechten: Hier auf Erden mußten sie leiden.
      Dann wandte Vater sich an den anderen Mann. »Sie haben sich mit der Tochter eines Gelehrten verlobt. Ihr künftiger Schwiegervater ist ein Zaddik. Seine Tochter ist eine ehrbare junge Frau und wird Ihnen mit Gottes Willen treu und ergeben sein. Was fällt Ihnen also ein, einer anderen den Kopf verdrehen zu wollen? Was sind Sie? Ein Grünschnabel? Meinen Sie, die Welt sei gesetzlos? Es gibt einen Gott im Himmel, der alles sieht! Kein Mensch lebt ewig! Eines Tages werden Sie Rechenschaft ablegen müssen …«
      Vater war zornig. Er drohte dem Mann alle Strafen der Hölle an. Er erklärte ihm sogar, er müsse sich bei seinem zukünftigen Schwiegervater entschuldigen, und erinnerte an den Spruch in der Ethik der Väter: »Der Biß der Gelehrten ist wie der des Fuchses, ihr Stich wie der des Skorpions, und alle ihre Worte sind wie feurige Kohlen.«
      Bei Vaters Lob schrumpfte der Schreiber in sich zusammen. Er fing an, vor und zurück zu schaukeln und den Kopf von einer Seite zur anderen zu wiegen – er war kein Gelehrter, und das Lob war unverdient. Der Schreiber hatte Angst, all diese Reden könnten dazu führen, daß er seinen Anteil an der künftigen Welt verwirkte.
      Der andere versuchte sich zu rechtfertigen. Er sagte, er habe mit der Bäckersgehilfin keinen Umgang gehabt. Sie hatte sich an ihn herangemacht, nicht umgekehrt. Er hatte bei ihr Frühstücksbrötchen eingekauft, und sie hatte das Gespräch mit ihm angefangen. Dieses hatte zu jenem geführt, und sie waren auf einen Kaffee und Käsekuchen in ein Café gegangen. Nun, nach etwas mehr von diesem und jenem hatte sie auf ihn eingeredet, er müsse sie heiraten. Er hatte ihr gesagt, er sei schon verlobt, aber sie hatte nichts davon hören wollen. Nach weiterem diesem und jenem hatte er ihr sein Versprechen gegeben. Was solle er tun? Wenn der Rabbi jetzt sage, er solle sie wegschicken, werde er sie wegschicken. Schließlich könne man nicht zwei Bräute gleichzeitig haben.
      »Was soll das heißen, du willst mich wegschikken?« schrie die schwärzliche alte Jungfer. »Heißt das, ich bin ein verfaulter Apfel, den man einfach wegschmeißen kann? Von einer anderen Verlobten hast du mir nichts erzählt. Hätte ich gewußt, daß du eine andere hast, hätte ich Schluß gemacht und dich so schnell zur Hölle geschickt, daß du dir sämtliche Knochen gebrochen hättest. Du Dieb, du Lügner, du Schmeichler, du Ketzer! Und was es mich gekostet hat, Rabbi …«
      Die Frau fing an, alle ihre Ausgaben aufzuzählen und die anderen Männer, die sie gewollt hatten. Wegen dieses Ketzers, dieses alten Lüstlings, hatte sie viele wertvolle Bewerber eingebüßt.
      Mein Vater ließ sie ausreden. Er schloß die Augen und ließ eine Faust auf dem Tuch ruhen, das dazu diente, die Übereinkunft zwischen den streitenden Parteien zu bekunden. Er war nun schon jahrelang Rabbi in dieser Straße, aber er konnte sich immer noch nicht an die Leute hier gewöhnen. Ich meinte, die Gedanken hinter seiner Stirn und in den Äderchen an den Schläfen sehen zu können und wie er sich bemühte, sich für diese Ignoranten einzusetzen, diese armen Wesen, die

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