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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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zusammengenagelt, und Ascher, der Milchmann, war Vorbeter beim Kol Nidre und beim Mussaf am Tag danach.
      Gleich nach Jom Kippur nahm Vater mich mit auf den Markt in der Grzybowskastraße, um einen Esrog zu kaufen. Ich hätte sehr gern einen schönen Esrog gehabt, aber die hübschen mit winzigen Höckern kosteten zehn, fünfzehn und fünfundzwanzig Rubel. Vater schaute und traf die Wahl. Es war eine Mizwe, einen schönen Esrog zu kaufen, aber derartige Mizwes kosteten Geld. Er erstand einen pockennarbigen Esrog mit lauter winzigen Flecken, aber zum Ausgleich dafür war der Lulaw wunderschön, von kleinen Strohringen zusammengehaltene Myrten- und Weidenzweige in einem niedlichen Strohkörbchen.
      Ich sehe Vater vor mir, wie er durch die Gnojnastraße geht, die Pappschachtel mit dem in Flachs gewickelten Esrog in der einen Hand, den Lulaw in der anderen. Im Sonnenlicht glüht sein Bart golden. Auf der Straße herrscht reges Treiben. Frauen bieten ihre Ware feil: Weintrauben, Äpfel, Birnen, Gebäck und Grünzeug aller Art. Ich bleibe stehen.
      »Vater, ich möchte dich etwas fragen.«
      »Frag mich.«
      »Werden am Jom Kippur alle Sünden der Juden vergeben?«
      »Wenn man bereut, vergibt der Allmächtige.«
      »Ist Lula seine Sünde auch vergeben worden?«
      Vater ist verwirrt. Er wirft mir einen mißtrauischen Blick zu. »Wir haben den Vorabend des Laubhüttenfests. Laß uns hierüber nicht reden.«
      Die Leute bauen in unserem Hof Laubhütten. Wer nicht hämmert, macht sich mit Brettern, Türen und Nägeln zu schaffen. Vater gesellt sich dazu und will auch helfen. Es geht ihm auch um die Mizwe, beim Bau einer Laubhütte mitzutun.
      Der Prozeß fand im Winter statt, und die Sachverständigen kamen zu dem Schluß, daß die Unterschrift gefälscht war. Vater wurde freigesprochen.
      Der Anwalt war nun gehalten, Klage gegen Lula, den Fälscher, einzureichen, die diesen für drei Jahre hinter Gitter hätte bringen können.
      Lula eilte zu Vater. »Rabbi, wollen Sie mich umbringen?«
      »Warum haben Sie mir so etwas angetan?«
    »Rabbi, ich hatte Schwierigkeiten.«
      »Und wenn man in Schwierigkeiten ist, fälscht man also die Unterschrift eines anderen?«
      »Wenn man ertrinkt, will man sich retten.«
      Da stand er in unserer Wohnung – mit seinem feisten Hals, seinem Spitzbauch und seiner modischen Kleidung. An einem Finger trug er sogar einen Ring. Er sah sonnengebräunt und wohlgenährt aus. Er wütete gegen Vater, machte ihm moralische Vorhaltungen: »Rabbi, Ihr Anwalt hat kein jüdisches Herz … Wenn Sie so etwas tun, Rabbi, wird man in allen Zeitungen über Sie schreiben … Sie werden keinen Fuß mehr vor die Tür setzen können … Es wäre eine Schändung des Namens Gottes!«
      Aber Vater sagte ihm klipp und klar, daß er nicht vorhabe, ihn zu verklagen. Er werde keinen Juden ins Gefängnis bringen, Gott bewahre.
      Lula begann, seine Manschetten zurechtzuzupfen. Er verfiel rasch wieder in eine aggressive Haltung.
      »Ich nehme Sie beim Wort, Rabbi! Mit Ihren Anwälten, diesen miesen Schurken, will ich nichts zu tun haben … Es hängt alles von Ihnen ab … Ohne Sie können diese niederträchtigen Stinker überhaupt nichts tun!«
      Im Weggehen knallte Lula die Tür zu. Es war restlos unter der Würde dieses Herrn Lula, zum Rabbi in der kleinen Krochmalnastraße zu kommen. Er rannte die Treppe hinunter. Draußen sprang er in eine Droschke. Vater stand eine Weile sinnend da, bevor er sich wieder seinem Talmud zuwandte.
      Als Mutter ins Zimmer kam, sagte er: »In der Synagoge werde ich das Dankgebet zu Gott für meine Errettung sprechen müssen.«

Glossar

    Achtzehngebet (Achtzehn-Bitten-Gebet) Neben dem Hauptgebet »Schema Israel« (Höre, Israel) das wichtigste Gebet im synagogalen Gottesdienst. Es wird stehend, das Gesicht nach Jerusalem gerichtet, gesprochen.

    Agune (jidd.; hebr. Aguna ) »Die Gebundene«. Verlassene Ehefrau, die sich mangels Scheidung nicht wiederverheiraten kann; gilt auch für eine an den verschollenen Ehemann – dessen Tod nicht bezeugt werden kann – gebundene Frau.

    Bar-Mizwa (hebr.) »Sohn der Pflicht«. Bezeichnung für die Zeremonie, durch die ein jüdischer Junge mit Vollendung des 13. Lebensjahrs die religiöse Mündigkeit erlangt.

    Be'er Hetew Kommentar zum Schulchan Aruch , verfaßt von Rabbiner Jehuda Aschkenasi, der 1745 starb.

    Bechorot (hebr.) Name eines Mischna-Traktats im Talmud, das die Gesetze über die

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