Ein Cowboy für Bille und Zottel
Gaststube, die nur am Sonntag besetzt war und sonst für geschlossene Gesellschaften und Familienfeiern benutzt wurde.
Und da die alte Kegelbahn — eine Baracke hinten auf dem Hof — nun leerstand, kam Ehepaar Jensen auf die glorreiche Idee, dort einen Kinosaal entstehen zu lassen. Niemand wußte, wer den Gedanken zuerst geäußert hatte, sicher war nur, daß er eines Abends am Stammtisch aufkam, beim Skat. Der Bürgermeister hatte sich über den Lärm beklagt, den der Fernseher mache, wie solle sich da einer konzentrieren können. Ja! Schmeißt das Ding doch raus! hatte Vater Brodersen zugestimmt. Habt ihr nicht einen Raum dafür?
So war die Sache ins Rollen gekommen. Erst hatte man einen neuen Fußboden in die alte Baracke gelegt, und Stühle hineingestellt und den Fernsehapparat. Hanne, die Kellnerin, und Elli Jensen — Billes Klassenkameradin — kümmerten sich um das leibliche Wohl der Fernsehzuschauer, die ihr abendliches Bier gern in Gesellschaft anderer Dörfler trinken wollten, aber auf das Programm nicht verzichten mochten.
Und dann kam eines Abends die Idee mit dem Kino. Wenn schon Heimkino im Krug, sagte man sich, warum dann nicht eigentlich auch mal richtiges Kino? Mit einem großen Bild? Was brauchte man denn schon dazu? Ein Podest, damit alle was sehen konnten. Das konnte einem auch anders nützlich sein, wenn der Lehrer zum Beispiel seine Schulaufführungen zeigen wollte — oder der Männergesangsverein eine Vorstellung gab. Der Vorführraum war auch kein Problem, man teilte einfach ein Stückchen des großen Raumes ab.
Ein Fachmann wurde geholt, der die nötigen Veränderungen vornahm, und bald konnte das „Film-Casino Wedenbruck“ aus der Taufe gehoben werden.
Es gab einen James Bond-Film mit vielen Tricks und Sensationen zu sehen. Und daß man in Ruhe sein Bier trinken konnte — während der Held den Verfolgern immer wieder entging, während Filmschönheiten auf der Leinwand seufzend in seidene Kissen sanken, schnittige Straßenkreuzer um die Kurven heulten und Motorboote meterweit durch die Luft sausten — das war das Größte am Wedenbrucker Kino!
Natürlich gab es nicht jeden Tag eine Vorstellung. Aber am Wochenende waren die Plätze bis auf den letzten Hocker besetzt. Elli und Hanne schleppten kistenweise Cola und Limo herbei, wenn nachmittags Kindervorstellung war, und der Eisverkauf erreichte Höhen, wie man es um die Weihnachtszeit noch nie erlebt hatte.
Die Ferien waren zu Ende, und für Tom begann das Leben auf einer deutschen Schule. In Englisch war er natürlich fein heraus, auch in Latein schien er eine Leuchte zu sein. Schwerer war es mit dem Deutschunterricht — und ganz schlimm stand es um sein Wissen in europäischer Geschichte.
So sah sich Herr Tiedjen einer neuen Aufgabe gegenüber: Geschichtslehrer für seinen Sohn zu spielen. Und hatte Herr Tiedjen keine Zeit, hockten Bille und Tom beieinander und halfen sich gegenseitig: Bille Tom in Deutsch und Geschichte und Tom Bille in Englisch.
Tom ging in Simons Klasse, aber obgleich sie sich nun täglich sahen, war ihr Verhältnis zueinander nicht besser geworden. Simon behandelte den jungen Amerikaner mit eiskalter Höflichkeit und ließ jeden Versuch Toms, mit ihm Freundschaft zu schließen, im Sande verlaufen. Er war nicht feindselig, aber ließ Tom einfach nicht an sich heran. Entweder war er zu beschäftigt, hatte eine andere Verabredung oder er mußte für die nächste Arbeit pauken, ein Buch fertig lesen, das er versprochen hatte zurückzugeben, etwas an Pünktchens Sattel flicken und was es dergleichen an Ausreden noch gab.
Tom nahm diese Abfuhren gleichmütig hin. Er mochte Simon, hatte sich durch die Berichte seines Vaters so an den Gedanken gewöhnt, mit ihm Freundschaft zu schließen und seine Freizeit zu verbringen, daß er einfach nicht glauben wollte, Simon könne ihn nicht leiden. Manchmal versuchte er, eine Erklärung für Simons Verhalten zu finden, glaubte auch, Simon sähe in ihm einen Konkurrenten für künftige Turniere — aber eine solche Haltung paßte so gar nicht zu dem Bild, das Herr Tiedjen ihm von Simon vermittelt hatte.
Simon beteiligte sich nur noch selten an den gemeinsamen Ausflügen zu Pferde. Er kam zum Unterricht nach Groß-Willmsdorf, ritt in der Halle oder auf dem Springplatz hinter dem Park, dann verabschiedete er sich sofort und ritt unter irgendwelchen Entschuldigungen heim nach Peershof. Auch Daniel — dessen Abitur bevorstand — hatte immer seltener Zeit für gemeinsame
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