Ein Dämon macht noch keinen Sommer
leibhaftigen Geschichte einer ganzen Kultur gefangen zu sein und fürchten zu müssen, jeden Moment geschnappt und meines Blutes beraubt zu werden, ist eine Erfahrung, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Der Raum, in dem wir festsaßen, war groß, hatte eine hohe Gewölbedecke und Regale über Regale voller alter Bücher, die sich mit aufgestapeltem alten Mobiliar abwechselten. Anders als Aahz und Tanda war ich nicht der Typ, der in sämtlichem alten Zeug herumwühlen musste. Altes Zeug war staubig und zumeist todlangweilig, soweit es mich betraf. Ich blätterte in dem einen oder anderen Buch und blies den Staub von ein paar alten Schriften, die wie Kochbücher aussahen. Schließlich beschloss ich, dass ich gar nicht wissen wollte, was sie mir über das Kochen zu sagen hätten, schlenderte die Regale hinunter und entdeckte ein weiteres antikes Sofa neben einem Stapel alter Möbel. Irgendwie gelang es mir, den größten Teil des Staubes zu entfernen und es mir bequem zu machen.
Tanda und Aahz lasen und unterhielten sich flüsternd über ihre Funde. Ihre Begeisterung angesichts ihrer Entdeckungen war unüberhörbar. Ich war hingegen zu diesem Zeitpunkt über jegliche Begeisterung erhaben. Ich war ganz einfach müde. Dennoch wollte sich aus irgendeinem merkwürdigen Grund (namentlich Vampirkühe und die Furcht, ausgesaugt zu werden und auf einem Metalltisch in der Leichenhalle zu enden) der Schlaf nicht einstellen. Stattdessen lag ich einfach nur da, drehte mich auf den Rücken und starrte zur Decke empor.
Nachdem ich vielleicht eine Stunde vergeblich zu schlafen versucht hatte, ging mir langsam auf, was ich da sah, wann immer ich die Augen öffnete. Jemand hatte vor langer, langer Zeit etwas an die glatte Decke gemalt. Nun war davon im fahlen Licht der glühenden Wände und unter dem Staub unzähliger Jahre kaum noch etwas zu erkennen. Aber es war immer noch da.
Und je länger ich auf dem Rücken lag und dort hinaufstarrte, desto klarer wurde mir, dass das, was ich dort sah, das Wichtigste in diesem ganzen Raum war, zumindest was uns betraf. Es war eine Karte des ganzen Palasts, nur war das nicht die Zeichnung des derzeitigen Gebäudes, sondern der Grundriss von Graf Rinds Schloss.
Je länger ich die Zeichnung studierte, desto mehr konnte ich aus den verblassten Linien erkennen. Ich fand sogar Harolds Wohnbereich, der früher einmal die hochherrschaftlichen Räume von Rind beherbergt haben musste.
Der Raum, in dem wir uns derzeit befanden, war als Privatbibliothek ausgewiesen. Auch der Schädelraum, der hier als Königlicher Speicher bezeichnet wurde, war erkennbar. Wirklich interessant aber war ein Geheimgang, der von diesem Raum bis in den Berg führte, weit fort von der Königlichen Suite, hinab zu einer Art Energiezentrum in einem großen Gewölbe. Dieses Energiezentrum befand sich genau in der Mitte der Decke über mir, was ich ebenfalls als recht interessant empfand.
Nach einer weiteren Stunde war ich überzeugt, mir die wichtigen Teile der Karte gut genug eingeprägt zu haben, einschließlich diverser Fluchtwege aus dem Palast, von denen ich annahm, dass sie den Vampirkühen nicht bekannt sein dürften.
Schließlich stand ich auf und ging zu Tanda und Aahz hinüber, die an Schreibtischen saßen und die Nasen in Bücher vergruben. Glenda schlief noch immer auf dem Sofa, und das goldene Tau war sicher um sie herum verknotet.
»Gut geschlafen?«, fragte Aahz.
»Produktiv«, antwortete ich.
Er beäugte mich mit dem mir wohl bekannten verwunderten Stirnrunzeln und deutete auf das Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag.
»Hier steht, dass das Gebiet rund um den Palast das magische Zentrum der ganzen Dimension darstellt. Bevor Graf Rind die Herrschaft übernommen hat, war es so eine Art Kurort, an den sich die Dämonen aus allen Dimensionen zurückgezogen haben, um die konzentrierte magische Energie in sich aufzusaugen und sich zu verjüngen.«
»Guter Stoff«, kommentierte ich.
»Besser als alles, was ich bisher erlebt habe«, sagte Aahz.
Tanda deutete auf ihre Lektüre. »In diesem Buch heißt es, der Krieg zwischen den Vampiren und den normalen Bürgern hat über zweihundert Jahre gedauert und beinahe alles Leben ausgelöscht. Das ist eines der letzten Bücher, die vor dem Exodus hier eingelagert worden sind.«
»Exodus?«, fragte ich.
Aahz nickte. »Nach allem, was wir in Erfahrung bringen konnten, scheint es, dass Graf Rind und seine Leute das Gebiet verlassen haben, nachdem ein Kompromiss
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