Ein Drama für Jack Taylor
Schleppte mich ins Badezimmer, riskierte einen Blick in den Spiegel.
Heiland.
Wie alt wurde ich eigentlich? Konnte eindeutig neue Falten in meinem Gesicht sehen, tief eingebettete. Nahm eine lange, siedende Dusche und war danach, wenn schon sonst nichts, wenigstens sauber. Beim Kaffee fasste ich den Vorsatz, dem »Dramatiker« nachzuspüren. Zog mir Entlarverklamotten an, ausgeblichene Cordhose, Sweatshirt und meinen Polizistenmantel. Als ich das Zimmer verließ, wäre ich gern eifrig oder zielstrebig gewesen. Nein, ich war müde. Mrs Bailey, die durchdringend in den Irish Independent spähte, sagte:
»Polizisten, Polizisten, Polizisten.«
»Was?«
»In Donegal tobt ein wilder Skandal um Bestechung, Einschüchterung, Vertuschungen, und in Dublin wurden nach dieser öffentlichen Demonstration siebzehn Polizisten vom Dienst suspendiert. Zu meiner Zeit mochte ein Schutzmann bei Schwarzgebranntem ein Auge zudrücken, aber dieser Tage haben sie sich nicht mehr im Griff.«
Eine ganze verlorene Ära in dieser Wendung »sich nicht mehr im Griff haben«. Im irischen Katalog ist das ein verzweifeltes Verbrechen, wenn man sich für was Besseres hält, auf das Herdenvieh herabblickt. Es ist mit »sich was einbilden« verwandt, und das ist die unterste Sprosse der Leiter zur Hoffart. Meine eigene lädierte Geschichte bei der Polizei empfiehlt mich nicht gerade als ihr Verteidiger. Ich sagte:
»Andere haben wir nicht.«
Sie bekreuzigte sich allen Ernstes … »Im Namen des Vaters …« Fügte dann hinzu:
»Gott helfe uns allen.«
Damit war der Fall für die Verteidigung abgeschlossen. Ich überließ sie der Zeitung und der Lage der Nation, ging zur Augustinerkirche und erwog, ein paar Kerzen anzuzünden. Die Anzahl hilfsbedürftiger Menschen würde mehr Kerzen erfordern, als ich anzünden konnte. Ich ging vorüber. Neben der Kirche ist ein französisches Restaurant, dann kommt eine steile Treppe, dann ein Laden. Ich ging rechts an die Stufen heran, versuchte, mir vorzustellen, wie die Studentin gefallen war. An so einem Sturz konnte man zweifellos sterben. Auf der anderen Straßenseite ist eine kleine Verkaufsstelle für Silberschmuck. Scheint gute Geschäfte zu machen. Eine Frau kam heraus, beobachtete mich, und ich winkte ihr unverbindlich zu. Das schien sie zu überzeugen, und sie überquerte die Straße.
Sie sah zigeunerhaft aus, dunkles Haar bis auf die Schultern, dunkle Augen, fahler Teint. Sie trug einen dieser lang wallenden Röcke, die niemandem stehen. Sie proklamieren: »Ich hab miese Beine.« Ich hätte sie auf vierzig geschätzt, aber Falten um die Augen, um die Mundwinkel –, vielleicht älter. Was sie zweifelsfrei war, und zwar überaus, das war attraktiv. Anmut in den Bewegungen. Sie sagte:
» Quel dommage, wie schade.«
Französisch …? Oder affektiert?
Ich fragte:
»Haben Sie das Mädchen gekannt?«
»Ja, sie hatte oben an der Treppe eine kleine Wohnung.«
Ich sah noch einmal hin, sagte:
»Da wohnen Leute?«
»Sie hat da gewohnt. Inzwischen gibt es in Galway Wohnungen an den unwahrscheinlichsten Stellen.«
Ihr Englisch war perfekt, wenn auch mit einem dünnen Überzug von Akzent. Und einer Spur von irischem Tonfall, den Menschen bekommen, wenn sie Englisch in Irland lernen. Weichere Vokale und ein Häuchlein Singsang. Ich beschloss, Unwissenheit vorzuschützen, zu hören, was sie zu berichten hatte, sagte:
»Ich weiß eigentlich gar nicht, was da passiert ist.«
Dem schien sie nur allzu gern abhelfen zu wollen, sagte:
»Karen, Karen Lowe, sie hatte etwa ein Jahr lang da gewohnt, kam oft auf einen Sprung zu mir in den Laden. In der Nacht, als es passierte, war sie mit Freunden aus gewesen und gegen zehn gegangen. Um Viertel vor elf hat sie jemand liegen sehen, den Krankenwagen und die Polizei gerufen.«
Ich versuchte, die nächste Frage so feinfühlig wie möglich zu verbrämen, fragte:
»Könnte sie getrunken haben?«
Vehementes Schütteln des Kopfes.
»Nein, ich kenne sie … Oh, mon dieu …, kannte sie. Sie ist durchaus in die Kneipe gegangen, hat aber nie mehr als ein Radler getrunken.«
Dann starrte sie mich an, sagte:
»Sie sind nicht von der Polizei?«
»Nein, nein … Ich bin … von der Versicherungsgesellschaft.«
Fast spuckte sie aus, sagte:
» Merde! Liebend gern lassen sie die Leute zahlen, aber mal was zurückzahlen … nie. Wissen Sie, wie hoch meine Prämie für den Laden ist?«
Ich wollte nicht für eine Versicherungsgesellschaft die Prügel einstecken, musste
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