Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
schönes Gefühl zu gewinnen, hatte er im Interview gesagt, nichts sei schöner, als das Portfolio mit Werten zu füllen, den einen Weg zu wählen, einen anderen Weg zu wählen, beide Wege zu wählen, alle Wege zu wählen. Zu sehen, wie die eigenen Aktien plötzlich viermal so viel wert sind, das ist so, als würde man eine Stromleitung berühren und das Kribbeln im ganzen Körper spüren, hatte er gesagt. Er wollte weiter an der Börse spekulieren. Den ganzen Tag über sang er vor sich hin, in Mittagspausen und in Sitzungen, er sang vor sich hin, wenn er Robbys Windeln wechselte oder zu Hause in der Inkognitogate mit dem Staubsauger hantierte, er summte, wenn er mit Grace im Bett lag oder sich im Fernsehen eine Komödie anschaute. Er wollte zocken, ständig sehnte er sich danach, an der Börse zu spekulieren. Er ging abends ins Bett und dachte, morgen klappt es, morgen muss es klappen. Morgen wendet sich das Blatt.
Nach den drei Monaten war sein Portfolio um 5700 Kronen gestiegen. Dieses Mal durfte er nicht mit dem Bankdirektor sprechen. Er bat ausdrücklich darum, mit Breivik zu sprechen, aber er traf auf eine Abteilungsleiterin, die behauptete, Breivik sei in dieser Woche verreist. Sie trug ein smartes Kostüm und sagte zu Lunde, die Bank habe Verständnis für die schwierige Situation, in der er gelandet sei. Sie würde ihr Möglichstes tun, um ihm zu helfen. Sie sah Lunde an: Wir sollten jetzt einen Rückzahlungsplan ausarbeiten. Mit einem Obstmesser zerteilte sie zwei Trauben und aß die Stücke äußerst langsam. Zu Hause sagte Grace, sie fühle sich nach der Schwangerschaft in den alten Kleidern nicht mehr wohl. Arvid sagte, sie könne den Schrank gern füllen, Geld hätten sie mehr als genug. Haben wir nicht, sagte Grace. Doch, wir haben mehr, als du zu Lebzeiten ausgeben kannst, sagte Arvid.
Sie klapperte die Boutiquen im Hegdehaugsveien ab, während Arvid mit Robby spielte. Den Freundinnen erzählte sie, es sei ein Hamsterkauf in Erwartung der endgültigen Katastrophe. In den Schränken voller Schuhe und Kleider sehe sie ihre Rente. Wer sonst könnte dir das bieten?, fragte Arvid Lunde, wenn sie mit den Einkaufstüten nach Hause kam. Er saß da, in Zigarettenrauch gehüllt, still und zufrieden, er hatte die Gewohnheit wieder aufgenommen, sich pro Tag eine Lucky Strike zu gönnen. Bald würde sich das Blatt wenden. Der Schnee gab jeden Morgen, wenn Arvid zur Arbeit ging, mit einem traurigen Geräusch unter seinen Füßen nach. Drinnen unter warmen Decken schlief sein Sohn.
Was hatten die Leute noch gesagt? Genau: Was nach oben geht, kommt auch wieder herunter. Arvid Lunde hatte sich zu hundert Prozent auf sein Bauchgefühl verlassen, mittlerweile war klar, dass der Kerl einen stinknormalen Bauch hatte. Was war ihm noch geblieben? Nichts. Im Gegenteil, er war klar im Minus. Trotzdem schien es, als verstünde Arvid Lunde seine historische Rolle nicht. Der Börsencrash war wie eine Landschaft, die er vom Zugfenster aus sah, sie zog in aller Ruhe auf der anderen Seite des Fensters vorüber. Die Achtziger hatten ihm mit ihrer verschwitzten Hand den Po gestreichelt, wie auch den Po aller anderen. Herrgott, fester, fester. Als in diesem Jahr der Frühling kam, an einem wahrhaft schönen Apriltag 1988, zog Arvid Lunde ein weißes Hemd und einen blauen Sommeranzug an. Dankbar betrachtete er sich im Spiegel. Zu Grace sagte er, es sei reine Mathematik, bald würde der Markt eine Kehrtwende machen. Garantiert. Bald. Garantiert. Er steckte ein weißes Tuch in die Brusttasche und trat hinaus in den hellen Tag.
Wir Oddaer kennen uns aus mit Kehrtwendungen und sich ändernden Zeiten. Mitte der Sechziger glaubten alle in Odda, das Industriemärchen würde ewig währen, wir dachten nicht darüber nach, es war Fakt, verflucht noch mal. Seitdem sind in Norwegen 100 000 Industriearbeitsplätze verschwunden. 1970 stellte die Industrie 25 Prozent der Arbeitsplätze. Heute sind es nicht mal mehr 10 Prozent. Nach hartem Kampf bekamen wir in Tyssedal eine Titaneisenfabrik. Die Lokalbevölkerung hatte sich in der Bürgerinitiative Tyssedal soll leben zusammengetan, in gewisser Weise gewann sie den Kampf, indem Aluminium zu Titaneisenerz wurde, eine Fabrik wurde zu einer anderen, alle trafen sich in einem gewaltigen Kompromiss, dennoch begann die Einwohnerzahl Oddas in den Achtzigern zu sinken. Behörden und Institutionen wurden aufgelöst, kommunale und staatliche Angebote blieben aus, Läden gaben auf, Kneipen schlossen.
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