Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Joggen?, frage ich. Wie bitte?, fragt sie. Ich zeige auf die Trainingsjacke. Sie lacht. Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Ich sage ja. Sie holt Kaffee vom Automaten. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?, fragt sie. Ja, sage ich. Sie können sich das hier anschauen. Ich zeige auf die Videokassette, die ich auf den Tisch gelegt habe. Das Ding wirkt plötzlich so unwichtig wie ein Hundewelpe. Das ist der Coup Ihres Lebens, sage ich. Ich bin nicht sicher, ob Coup der passende Ausdruck ist. Hört sich eher an wie ein französisches Dorf, einen Ort, an dem sich die Frauen zum Schwatzen auf dem Marktplatz treffen. Geht es um Olof Palme?, fragt Emma Eriksson. Nein, um Ingvar Kamprad, sage ich. Ich verstehe, dass sie verwirrt ist. Keine gute Strategie. Ich hätte meine Methode klarer durchdenken müssen. Ich werde es mir anschauen, versprochen, sagt Emma Eriksson.
Ein Anflug von Sentimentalität muss mich gepackt haben, denn ich nehme das Fotoalbum aus dem Koffer, ich hatte es in der Hinterhand, als eine Art Sicherheit. Emma Eriksson fragt, ob sie einen Blick hineinwerfen dürfe. Sie sieht mich an, wartet auf die Antwort, aber es kommt mir vor, als wäre ich in ein Loch gefallen. Ich fühle mich schwach. Emma Eriksson fragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich sage, dass ich mich mal kurz hinlegen müsse. Soll ich Ihnen etwas Wasser bringen?, fragt sie. Ich nicke und lege mich aufs Sofa. Ein gutes Sofa, gute Qualität, guter Halt im Rücken. Emma Eriksson bringt mir ein Glas Wasser. Geht’s wieder?, fragt sie. Ich nicke. Sie nimmt die Videokassette an sich. Ich glaube, ich verstehe das hier nicht ganz, sagt sie. Sehen Sie sich die Aufnahme an, dann werden Sie verstehen, sage ich. Ja? Kann ich Sie irgendwie erreichen?, fragt sie. Nein, mich kann niemand mehr erreichen, sage ich. Sind Sie sicher, dass es Ihnen gutgeht?, fragt sie. Ich nicke und setze mich wieder auf. Emma Eriksson verschwindet. Ich betrachte die Fernsehbildschirme. Fast alle zeigen ein weinendes Mädchen. Sie hört nicht auf zu weinen, sie steht auf dem Eis und zeigt auf ihre Schlittschuhe. Sie schafft es nicht, die Schnürsenkel zuzubinden, und beginnt zu weinen. Leute können bei der geringsten Kleinigkeit die Fassung verlieren.
Wie ist es gelaufen?, fragt Ebba, als ich zum Auto zurückkehre. Gut, sage ich und packe das Fotoalbum wieder in den Koffer. Ebba meint, wir sollten etwas zu essen besorgen. Sie hat recht. Nach wie vor bin ich weder über Nahrungsmittel noch über die Geschichte erhaben. Ich kann Kamprad entführen, aber es ist keine reizvolle Aussicht, den Mann verhungern zu lassen. Wir fahren durch Växjö, bis wir einen McDonald’s finden. Wie wollen Sie Ihren Burger haben?, fragt Ebba, als wir in der Schlange stehen. Ich habe keine Ahnung, ich bin kein Experte für Junkfood. Sie bestellt, ich bezahle. Vermissen Sie sie?, fragt Ebba, als wir auf die Burger warten. Wen?, frage ich. Ihre Frau. Ja, ich vermisse sie. Sehr? Sehr. Haben Sie ihn deswegen gekidnappt?, fragt Ebba. Kamprad? Ja, weil Sie um Ihre Frau trauern? Ich gebe keine Antwort. Ebba will wissen, wie Marny ausgesehen hat. Ich denke nach. Marny hat selbst gesagt, dass sie ganz normal aussieht. Sie war nervös, als sie meine Eltern kennenlernen sollte, sie hatte Angst, sie würden sie nicht mögen, weil sie wie alle anderen aussah. Ich habe immer zu Marny gesagt, sie sei so hübsch, dass ich fast nicht wüsste, wie ich mich in ihrer Nähe verhalten solle.
In den letzten Monaten daheim war Marny geschockt, wenn sie sich oben im Bad oder unten im Flur im Spiegel erblickte. Von Tag zu Tag vergaß sie mehr, wie das Alter und die Krankheit sie reduziert hatten. Eines Abends wollte sie, dass ich ihr schwarze Tusche kaufe, damit sie sich die Haare färben konnte. Ein andermal sagte Marny, sie wolle sterben. Ich bin schon zu lange hier, sagte sie und starrte sich an. Es war merkwürdig, denn ein Teil von mir wollte ebenfalls, dass sie starb. Draußen im Auto frage ich, ob Ebba sich die schönste Frau der Welt vorstellen könne. Ja, sagt sie. Stell dir eine Frau vor, die so hübsch ist, dass du fast nicht glauben kannst, dass jemand so hübsch ist. Siehst du die schönste Frau der Welt vor dir?, frage ich. Ja, antwortet sie. Und jetzt stell dir eine vor, die noch hübscher ist. Schaffst du das? Ja, sagt sie. Das ist Marny, sage ich.
Als wir zurückkommen, ist Kamprad verschwunden. Ebba flucht und legt die Burger auf den Tisch. An diesen Tisch hatten wir den Mann gekettet, jetzt ist er weg. Ich habe
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