Ein EKG fuer Trimmel
Trimmel gleich am nächsten Morgen – eine glänzende Laufbahn als Universitätslehrer aufgegeben, als er eines denkwürdigen Tages nicht nur eine Frau heiratete, sondern auch deren Millionen. Mit denen, immerhin, hat er sich dann den Traum verwirklicht, der an den deutschen Unikliniken unzählige Male geträumt wird: Die geradezu verschwenderische Einrichtung einer Privatklinik, bei der Unzulänglichkeiten aller Art so weitgehend ausgeschlossen sind, wie es der jeweils letzte Stand der Medizin und der Krankenhausforschung ermöglicht.
Sechzig Betten, kein einziges mehr. Die modernste Dialysestation auf dem Kontinent. Professor Becker ist Chirurg und Urologe zugleich. Vier Fachärzte für Chirurgie und Urologie als Oberärzte; der oberste von denen heißt Meyers und ist ebenfalls schon Professor. Personal wie im Luxushotel, also keineswegs nur medizinisch ausgebildet – und Gäste, anderenorts Patienten genannt, ebenfalls wie im Luxushotel.
Schwimmbad mit 29 Grad Wassertemperatur. Sonnenterrassen, eigener Park. Bundeskegelbahn für alle, bei denen es wieder geht. Farbfernseher. Preise nach Vereinbarung, nicht gerade mit der Ortskrankenkasse.
Vor allem aber eins, erfährt Trimmel. Beckers Spezialgebiet ist ein medizinisch ungeheuer wichtiges Teilgebiet der Molekularbiologie – die Erforschung der Abwehrreaktion des menschlichen Körpers nach der Verpflanzung fremder Organe und Gewebe. Er hat ein eigenes, exzellent ausgestattetes Laboratorium zur Erforschung dieser sogenannten Immunitätsbarriere; dazu hat er einen Leichenkeller mit so viel Präparaten und so umfangreichen Sektionsmöglichkeiten wie in der Pathologie einer mittleren Universität.
»Muß er denn dazu nicht auch vor allem…?«
Aber sicher. Dazu muß er vor allem auch selbst Organe verpflanzen – und das tut er auch. Nur Nieren, versteht sich. Es gab anfangs immer ziemlich viel Wirbel. Daß es einem Privatarzt, unabhängig von jedem staatlichen Institut, überhaupt gelingt, Transplantate zu bekommen…
»Ein bißchen futuristisch, das Ganze«, sagte Trimmel. »Ein bißchen viel Medizin von morgen auf einmal.«
Aber davon will sein Gesprächspartner nichts wissen. Eher sei Professor Becker etwas barock oder byzantinisch oder ein Renaissancemensch; so genau käm’s darauf sicher nicht an. Das W mit dem Punkt in Beckers Namen bedeute Wolfram, und der Name Wolfram von Wildungen laufe ihm seit zehn Jahren nach. Was mache es aus, wenn das Vorbild dieses Namens, der hochberühmte mittelhochdeutsche Wolfram von Eschenbach, mit Barock, Byzanz und Renaissance wenig im Sinn gehabt habe? Wenn einer dieser beiden Wolframs auf dem Wildenberg gedichtet habe und der andere in Wildungen Studien betreibe? Wenn der Chirurg und Urologe Wolfram höchstens Arterien, Körperhöhlen und Bauchdecken dichten könne – wenn er also nicht viel musischer sei als eine Glühbirne mit Wolframfäden, einfach eine Leuchte und sonst gar nichts?
Friedrich Wolfram Becker.
Zurück zur Sache: Von seiner Privatvilla auf dem Klinikgelände aus hat Becker einen herrlichen Blick auf Schloß Friedrichstein. Und vom hessischen Staat wird er gefördert wie im allgemeinen wirklich nur eine staatliche Institution von allerhöchstem wissenschaftlichen Rang. Denn er hat nach Ansicht einiger Leute, auf die es ankommt, für den Ruf seiner Wahlheimat in einem Jahrzehnt mehr getan als Konrad… nein, natürlich nicht Adenauer für Köln! – als Konrad von Soest, der ein halbes Jahrtausend zuvor den Flügelaltar in der Wildunger Stadtkirche malte.
Wildungens Quellen gehören zu den erdigen Säuerlingen; das Bad, schwören die Leute, die Jahr für Jahr wiederkommen, ist gut gegen Gicht, Blasen- und Nierenleiden.
Wenn es nicht mehr hilft, kann man sich unter Umständen ja immer noch bei Professor Dr. Friedrich W. Becker neue Nieren einsetzen lassen.
Soweit Trimmels Gesprächspartner auf dem Wege der Amtshilfe. Trimmel hat den Wildunger Kollegen, einen erstaunlich gebildeten Kriminaloberkommissar namens Schwarz, händeringend gebeten, über das Interesse der Hamburger Polizei an Professor Becker striktes Stillschweigen zu bewahren. Trimmel hatte ihn angerufen, sobald er halbwegs klar sah; die Sache Tennessy ist mittlerweile schon bald eine halbe Woche alt, und nach aller Regel und Erfahrung schwinden die Chancen der Aufklärung von Stunde zu Stunde mehr.
»Warum beißen Sie sich denn mit einemmal so an Bad Wildungen fest?« fragt Höffgen.
»Weil dieser Becker irgendwie exotisch
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