Ein EKG fuer Trimmel
wenigstens nicht immer schneller sterben mußten als anderswo. Brauer hat nämlich noch vier Wochen gelebt und ist die ganze Zeit künstlich beatmet worden. Allerdings hatte seine Ehefrau angeblich ziemlich schnell ihr Einverständnis erklärt, im Fall des Todes ihres Mannes könne Lachnitz seine Nieren entnehmen und dürfe sie verpflanzen lassen. Genau das ist dann auch passiert. Mindestens eine ist per Hubschrauber nach Bad Wildungen geflogen worden, zu einem Professor Becker…«
»Den kennen wir schon!« sagt Trimmel.
»Ach!« sagt Petersen pikiert. »Aber ich, ich mußte trotzdem erst im Schmutz herumwühlen… soll ich Ihnen mal sagen, daß das einer der schrecklichsten Fälle ist, die ich jemals gehört habe?«
»Wieso das denn?«
»Frau Brauer hat innerhalb von vier Wochen ihren Mann und ihren Schwager verloren!« sagt Petersen dramatisch. »Von anderen schlimmen Begleitumständen mal ganz abgesehen…«
»Moment mal – wie hieß der Mann?«
»Konrad Brauer«, wiederholt Petersen.
»Hat der was mit der Reederei Brauer zu tun?«
»Jahresumsatz einhundertsechsundvierzig Millionen und dabei eine sensationelle Nettoquote«, sagt Petersen, wie immer gut informiert. »Konrad war der jüngere der beiden Söhne.«
»Und was war mit dem Schwager?«
»Das war der ältere Bruder Berthold. Der war Makler in Lübeck und hatte einen Herzinfarkt. Konrad hatte ihn gerade im Krankenhaus besucht, und auf der Rückfahrt brach er sich dann den Hals. Schrecklich…«
»Berthold ist auch tot?«
Petersen nickt. »Zwei Stunden vor Konrad gestorben…«
Trimmel steht auf. Finster wie eine Gewitterwand steht er im Raum. »Du kannst nach Hause gehen!« sagt er, völlig unerwartet. Und zu Höffgen: »Du auch!« Er hat einen seltsam hohlen, seltsam falschen Ton in der Stimme.
Höffgen und Petersen sehen sich betreten an. Eine Erklärung haben sie allerdings ebensowenig wie Trimmel selbst.
Vielleicht wollte er ja nur allein sein. Vielleicht wollte er nur in Ruhe Bilanz ziehen. Vielleicht beruhigt es ihn, eigenhändig ein ellenlanges Werk in die Maschine zu hämmern, das er Zwischenbericht nennt. Zwischenbericht im Ermittlungsverfahren wegen Mordes zum Nachteil Jacob Tennessy, das ihm über den Kopf zu wachsen droht. Trimmel beginnt.
1. Objektive Erkenntnisse. Tennessy wurde mit einer 7,65 PPK erschossen. Tatwaffe polizeilich bisher nicht bekannt. Nur ein Eingeweihter hätte ohne Dynamitpatronen oder einen kompletten Satz Nachschlüssel an den Tatort kommen können; beides jedoch war nicht der Fall. Keine verdächtigen Fingerabdrücke, die verwertbar wären.
2. Zur Person von Tennessy. Farblos; nicht sehr attraktives Äußeres, exzellenter Fachmann, angeblich ›eine Seele von Mensch‹.
Keine Feinde bekannt. Aber es ist unter Umständen nicht ohne Belang, daß sein Computer als ständige Schaltstelle für Nierentransplantate fungierte.
3. Weitere Anschläge. Auf Jill Biegler und Paul Trimmet. Beide erfolglos. Einzelheiten. Tatzusammenhänge mit dem Mord an Tennessy möglich, wenn nicht wahrscheinlich.
4. Die Spur Sandra Biegler. Großes Fragezeichen. Menschliches Gewebe und ein Geflecht aus menschlichen Verstrickungen, noch nicht entschlüsselt.
5. Die Spur Professor Becker. Ihr wird durch den Endunterzeichnenden gegebenenfalls noch nachgegangen.
6. Die (zusätzliche) Spur Professor Lachnitz: Hat der mit Hilfe des Beatmungsgerätes eine Erbfolge (146 Millionen Mark Jahresumsatz) beeinflußt?
Beschlagene Scheiben, feuchte Lichter draußen. Er hämmert wie ein Besessener, inzwischen schon die zwölfte Seite. Klar ist der Fall noch längst nicht, aber er bekommt ein Gesicht beziehungsweise sogar mehrere. Trimmel vergißt Hunger, Durst und Zigarren. Und seine Kopfschmerzen. Und kommt sich allen ernstes vor, als er zum wiederholten Male das Stichwort Erbfolge schreibt, als schreibe er sein Testament. Mutterseelenallein und ganz auf sich gestellt. Das Klappern der Tasten erzeugt ein dröhnendes Echo in seinem Kopf.
Die Tür wird krachend aufgestoßen. Trimmel nimmt, zu Tode erschrocken, die Hände hoch.
Aber es ist nur Petersen. »Ich glaube, ich hab’s!« sagt er atemlos. Das kommt allerdings nur daher, daß im Fahrstuhl ein Kurzschluß ist und er deshalb die letzten Etagen zu Fuß laufen mußte.
»Ich auch«, sagt Trimmel. »Aber ich weiß nicht ganz genau, ob’s auch stimmt…«
»Bei mir stimmt’s garantiert!« sagt der Leichenbestatter energisch wie selten.
»Ja, was denn?«
Petersen, ein Mann
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