Ein Elefant im Mückenland
immer weitere Netze. Fische waren auch darin, große Brachsen.
Anfangs amüsierten sich Lucia und Paavo darüber. Sie stießen mit Schaumwein an und brachten ein an-spornendes Hoch auf Emilias Gestrampel aus. Die Ein-heimischen hatten in ihren Netzen einen fast vier Ton-nen wiegenden Elefanten gefangen, eine Anglergeschich-te von ganz besonderer Güte.
Bald jedoch merkten sie, dass es gar keinen Grund zur Freude gab. Emilia hatte sich so hoffnungslos in den Netzen verfangen, dass sie nicht mehr in der Lage war zu schwimmen. Ihr Kopf sank immer tiefer, viel fehlte nicht, und sie wäre auf der Stelle ertrunken. Zum Glück besaß sie einen langen Rüssel und ein geduldiges Na-turell. Sie richtete sich mit aller Kraft auf, sodass ihre Hinterbeine den moderigen Grund berührten. In dieser unbequemen Stellung versuchte sie sich freizustram-peln, die Netze hatten sich inzwischen mehrfach um ihre Vorderbeine gewickelt, ein paar Fetzen sogar schon um ihren Rüssel.
Lucia und Paavo leerten rasch ihre Gläser, und Paavo brüllte zu den feiernden Leuten am Ufer hinüber, sie sollten schleunigst die Ruderboote ins Wasser stoßen und auf den See kommen, um ihre Netze vom Elefanten
abzuschneiden. Mit dröhnender Stimme drohte er den Anwohnern mit schrecklicher Rache, sollten sich die Rettungsarbeiten auch nur einen Moment hinauszögern.
Lucia griff in die Kiste mit dem Küchenbedarf, schnappte sich ein langes Filiermesser und warf die Kleidung ab, bis ihr sehniger Körper nur noch von ei-nem Schlüpfer bedeckt war. Sie schickte sich an, in das trübe Wasser zu tauchen. Zu Paavo sagte sie:
»Mach nicht solchen Lärm, du Depp, sonst rastet Emilia wieder aus!«
Lucia glitt an Emilias Rüssel und Stoßzähnen ge-schickt ins Wasser und verschwand in den Wellen. Paavo dämpfte ein wenig die Stimme, hörte aber nicht auf zu rufen.
»Schnell zu Hilfe! Der Elefant ertrinkt! Bringt die Mes-ser mit!«
Rasch wurden am Südufer des Sees die Boote ins Wasser gestoßen, die angetrunkenen Männer eilten mit kräftigen Ruderschlägen zum Unglücksort. Emilia stand auf den Hinterbeinen im Wasser, und Lucia tauchte und schwamm um sie herum, um ihre Vorderbeine und den Rüssel mithilfe des Messers von dem Gewirr von Leinen zu befreien.
Paavo trieb die Rettungsflottille an. Sieben Boote nä-herten sich. Emilia keuchte schwer. Es zehrte an ihren Kräften, auf den Hinterbeinen im Grundschlamm zu stehen und einen zwei Tonnen schweren Oberkörper zu tragen – auch wenn der sich größtenteils unter Wasser befand und somit nicht ganz so viel wog wie auf dem Trocknen.
Lucia tauchte viele Male und konnte den größten Teil der Netze entwirren. Nun trafen auch die Bootsbesat-zungen ein. In dem ganzen Durcheinander kippten zwei Boote um, aber das scherte niemanden, alle wollten helfen. Die betrunkenen Männer tauchten mit dem Dolch zwischen den Zähnen und zerschnippelten die restlichen Netze. Auch Paavo glitt ins Wasser, in voller Bekleidung, denn er hatte in seiner Aufregung verges-sen, sich auszuziehen.
Als Emilia die Netze los war, prustete sie erleichtert durch den Rüssel und schickte sich an, weiterzu-schwimmen. Lucia und Paavo paddelten neben ihrem Elefanten an Land. Auch die Besatzungen der beiden umgekippten Boote taten es ihnen nach, denn die Boote waren voll Wasser gelaufen. Zum Glück ertrank nie-mand, nicht einmal Emilia. Die war von dem Schwimm-ausflug und vom Gezappel in den Netzen so erschöpft, dass sie sich gleich unten am Strand hinlegte.
Lucia und Paavo nahmen ihr den Sattel ab und tru-gen ihn ans Ufer. In der Nähe loderte das Lagerfeuer der einheimischen Fischer und wärmte die durchnässte Gesellschaft. Bald erholte sich auch Emilia und kam ans Ufer. Sie legte sich in der Wärme des Feuers nieder und schloss seufzend die Augen. Lucia und Paavo traten zu ihr und redeten beruhigend auf sie ein, Lucia strei-chelte sie sanft hinter den Ohren. Emilia seufzte erneut, und es schien, als wäre sie für einen Moment einge-schlafen. Kein Wunder, dass sie müde war, war sie doch stundenlang geschwommen und hatte anschließend noch verzweifelt im Fischernetz gezappelt.
Die Fischer klaubten die fetten Brachsen aus den Fet-zen ihrer Netze, und dabei unterhielten sie sich über das Ereignis und kamen zu dem Schluss, dass sie zwar die Schwierigkeiten des Elefanten irgendwie verstanden, dass es aber trotzdem nur recht und billig wäre, wenn die Gäste ihnen den entstandenen Schaden ersetzten. Neue Netze waren teuer, und mindestens zehn,
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