Ein Engel aus der Hölle
beim Vorbeifahren war mir aufgefallen, dass es rund um den Pilz nicht leer war. Menschen, die etwas aßen oder tranken standen zusammen und unterhielten sich. Uns wehte Zigarettenrauch entgegen. Er trieb in grauen Wolken durch die Beleuchtung vorne am Pilz.
Man konnte ihn durch eine Seitentür betreten, die offen stand. Bierkästen mit leeren Flaschen stapelten sich dort. Der Blick in das Innere ließ uns staunen, denn der noch freie Platz zwischen all den Waren und Kühlschränken wurde von der mächtigen Gestalt des Besitzers eingenommen, ein Mann mit dunkler Haut, der aussah wie ein Berg aus Fleisch und Muskeln. Er trug eine weit geschnittene Jacke und darunter ein helles T-Shirt mit der Aufschrift Chief. Das lasen wir, als wir direkt vor der vorderen Öffnung standen. Auf dem Kopf des Mannes saß ein Hut. Augen, in denen das Weiße zu sehen war, funkelten uns an. Die mächtigen Hände waren zu Fäusten geballt und bildeten das Ende der ausgestreckten Arme.
Ich hatte schon vorher nach Frank Durban geschaut, ihn aber nicht gesehen.
»Was wollt ihr?« Mit einer seltsam hohen Stimme wurden wir angesprochen.
»Zwei Dosen Wasser«, sagte Suko.
»Gut.«
Wir bekam sie. Suko zahlte, und mir fiel auf, dass wir unter der Beobachtung des Schwarzen standen.
»Ihr seid neu hier. Oder habt ihr euch verlaufen?«
»Zufall.«
Der Mann grinste. »Es gibt Leute hier, die keine Zufälle mögen.«
»Wieso?«, fragte ich.
Der Mann deutete auf seine dicke Nase. »Ihr habt nicht den richtigen Stallgeruch.«
»Aha.«
»Macht euch lieber schnell aus dem Staub.«
Ich deutete auf meine Dose. »Aber austrinken darf ich doch. Oder ist das auch nicht erlaubt?«
»Klar, trinkt leer.«
Wir rissen die Lasche ab und entfernten uns aus der Helligkeit des Pilzes. Die Kunden standen in Gruppen zusammen, tranken, lachten und unterhielten sich. Ob alle zu den Arbeitern aus der Werft gehörten, die sich eine Pause gönnten, konnte ich nicht glauben. Hier hatten sich Menschen versammelt, die einsam waren und allesamt unter dem gleichen Schicksal litten.
Es war nie ruhig. Und damit meinte ich nicht die Stimmen der Anwesenden, sondern mehr die Motoren der Lastwagen, denn diese Wagen kamen, um Waren zu holen oder sie zu bringen, damit sie, in den Lagerhäusern ihre Plätze fanden. Dieses Viertel konnte man durchaus als einen Umschlagplatz bezeichnen, auf dem Tag und Nacht Betrieb herrschte.
Wir wunderten uns, als ein Transporter heranschlich und neben einer Gruppe von Männern stoppte. Eine Tür wurde geöffnet. Die wartenden Männer rückten an das Fahrerhaus heran, hörten zu, und etwa die Hälfte von ihnen stieg durch die hintere Tür auf die Ladefläche.
»So kann man auch auf den Strich gehen«, sagte ich.
Suko ließ seine Dose sinken. »Du meinst den Tagelöhner-Strich?«
»So ähnlich.«
Deshalb standen hier so viele Männer herum. Sie warteten auf einen Stundenjob. Es gab viele Subunternehmer, die ihre Leute auf diese Art und Weise rekrutierten, ihnen harte Jobs vermittelten, und das zu Löhnen, über die man erst gar nicht nachdenken sollte. Die meisten der Männer stammten aus Osteuropa. In der Regel hatten sie nicht mal eine Bleibe. Sie schliefen in Gebüschen und unter Brücken, um wenig später wieder bereit zu stehen für neue Jobs.
Es war alles auf eine gewisse Art und Weise illegal, aber wo kein Kläger, da auch kein Richter. Jetzt konnte ich nachvollziehen, was der Mann am Kiosk mit seiner Bemerkung gemeint hatte. Ich musste ihm Recht geben. Wir passten wirklich nicht hierher. Vielleicht ging er auch davon aus, dass wir von der Einwanderungsbehörde waren.
Zwei Männer hatten uns schon länger beobachtet. Sie kamen zu uns und blieben stehen. Wie Arbeitssuchende sahen sie nicht eben aus, eher wie Typen, die alles kontrollierten und Acht gaben, dass alles geregelt ablief. Wahrscheinlich kassierten sie noch mit.
In der Dunkelheit sah ihre Haut käsig aus. Einer besaß ein Rattengesicht und recht eng zusammenstehende Augen. Er kümmerte sich um Suko und machte ihn an.
»Ich denke, dass ihr lange genug hier herumgestanden und geglotzt habt. Macht euch vom Acker. Wir brauchen kein Publikum. Wenn ihr glotzen wollt, geht in die Peep-Show.«
Suko lächelte, was schnell zu einem leisen Lachen wurde. Ich kannte den gefährlichen Klang und hielt mich daraus.
»Du hast ja Recht, mein Freund. Aber wir haben unsere Dosen noch nicht leer.«
»Scheiß drauf!«
»Nein.«
Das Rattengesicht zeigte seine rechte Hand jetzt offen. Er
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