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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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würde, damit er sich meiner annehmen solle. »Dann kann er sich mit dir rumschlagen. Besorg dir schon mal einen guten Chirurgen!« Lachend verließ sie mit diesen Worten mein Zimmer.
    Ich habe in dieser Zeit rein gar nichts mehr verstanden. Ich nahm keine Drogen, wies durchschnittlich gute Leistungen in der Schule auf, arbeitete im Fitnesscenter und in Jürgens Firma, erledigte den kompletten Haushalt und verbrachte meine Zeit an den Wochenenden immer noch brav mit Ulf und Martin auf dem Panzerübungsgelände. Ich war siebzehn Jahre alt und hatte noch exakt acht Monate bis zu meiner Volljährigkeit und noch genau ein Jahr bis zu meinem Abitur. Das Gefühl, diese Monate nicht mehr ertragen zu können und am Ende meiner Kräfte zu sein, siegte letztlich.
    Am zwanzigsten Februar 1983 brannten die Sicherungen durch. Als meine Mutter die Wohnung abends verlassen hatte, kramte ich sämtliche Medikamente zusammen, zerstampfte die Tabletten und kippte diesen widerlich bitteren Brei mit einer Flasche Gin herunter.
    Ich wollte nicht mehr, und ich konnte nicht mehr. Mir war alles gleichgültig geworden.
    Drei oder vier Stunden später kehrte meine Mutter zurück zur Wohnung. Sie hatte irgendetwas vergessen. Als sie feststellte, dass die Tür zu meinem Zimmer von innen verschlossen war, holte sie sich den Nachbarn zur Hilfe, der die Tür beherzt eintrat. Polizei und Rettungskräfte trafen ein, und man verfrachtete mich ins nächstgelegene Krankenhaus. Es war genau dasselbe Krankenhaus, das schon in meinen Kindheitsjahren meine Verletzungen behandelt hatte, und heute glaube ich, dass der behandelnde Arzt meine Akte sehr genau studiert hatte. Nachdem mir der Magen ausgepumpt worden war, verlegte man mich auf die Intensivstation. Das Erste, was ich nach meinem Aufwachen mitbekam, war die Frau neben mir hinter einem Vorhang, die sich ständig irgendwelche Kanülen aus der Vene zog. Es war das Letzte, was sie tat, denn in der gleichen Nacht starb sie.
    Am Morgen dann wachte ich erneut auf und sah meine Mutter und Jürgen neben mir am Bett sitzen. Meine Mutter heulte, und Jürgen sah aus, als wäre er um zwanzig Jahre gealtert. Als der Arzt kam, wechselten die Mienen der beiden. Meine Mutter setzte ihr versteinertes Gesicht auf, und Jürgen mutierte wieder zum honorigen Geschäftsmann. Der Arzt war höchstens Anfang bis Mitte dreißig und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
    »Na mein Mädchen? Wie geht es dir denn jetzt?«, fragte er.
    »Gut«, antwortete ich und empfand diesen Arzt als unglaublich vertrauenerweckend. Gern hätte ich diesem Arzt mein Herz ausgeschüttet. Die Blicke von Jürgen und meiner Mutter verhießen nichts Gutes. Mir war, als hätte man mir den Mund ad hoc zugeklebt. Es war egal, was dieser nette Arzt fragte, ich antwortete nicht. Tränen stiegen in mir hoch, und meine Blicke flehten ihn an, dieses Gespräch bitte nicht im Beisein meiner Mutter und Jürgens zu führen. Vielleicht war der Arzt noch unerfahren. Ganz sicher jedoch wusste er, dass irgendetwas in dieser »Familie« nicht stimmte.
    Meiner Mutter wurden seine Fragen plötzlich zu bunt. Energisch erhob sie sich und baute sich vor dem jungen Arzt auf: »Jetzt passen Sie mal gut auf, Herr Doktor«, begann sie, »der beste Therapeut für meine Tochter bin ich. Haben Sie das verstanden? So, und jetzt möchte ich meine Tochter mit nach Hause nehmen. Los, steh auf und komm«, herrschte sie mich an.
    Jeglicher Protest des Arztes war zwecklos. Die Schwester musste den Tropf abnehmen, meine Mutter warf schmissig ihre Unterschrift unter die Entlassungspapiere, und der Arzt drückte mir einen kleinen Augenblick zu lange meine Hand zum Abschied. »Du kannst jederzeit zu mir kommen«, flüsterte er leise.
    Wütend zog mich meine Mutter am Arm mit sich.
    Bis zum Ende des Flures schaute ich zu dem Arzt zurück. Wie gern hätte ich mit ihm gesprochen. Wie gern.
    Nach meinem Selbstmordversuch hatte sich praktisch nichts verändert. Niemand fragte nach den Gründen, und lediglich meine Freundinnen bemühten sich redlich, meine Verzweiflung nachzuempfinden. Selbst wenn sie das Gefühl hatten, mir nicht helfen zu können, so waren doch zumindest die Gespräche mit ihnen Balsam für meine Seele.
    Jürgen schien sich seit diesem Vorfall von mir abgewendet zu haben. Zwar war ich ständig auf der Lauer und erwartete förmlich seine Übergriffe, aber offensichtlich distanzierte er sich von mir. Zugleich sparte er nicht mit Kritik und ließ keine Gelegenheit aus, mir

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