Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
erklären, dass offenbar die Mischung aus Kopfschmerztabletten und Alkohol zu diesem Ausraster geführt hätte. Zwischen den beiden herrschte eine Eiskelleratmosphäre. Mein Entschluss, diesen wahnsinnigen Haushalt mit dem Tag meiner Volljährigkeit zu verlassen, war unumstößlich geworden. Ich würde alles besser ertragen, als eine Sekunde länger wie nötig in diesem Irrenhaus zu verbleiben. Ich spürte, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts in dieser weiten Welt schlimmer sein konnte als das, was ich bislang erlebt hatte.
Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag spannte mich meine Mutter immer öfter in zusätzliche »Aufgaben« ein. So beizte sie auf einmal Möbel ab, und ich musste schmirgeln und schleifen, ob ich wollte oder nicht. Dann flieste sie das Bad komplett neu, und die Nacht auf meinen achtzehnten Geburtstag verbrachte ich im Badezimmer, da mir meine Mutter aufgetragen hatte, die neuen Kacheln von den Resten der Fugenmasse zu befreien. Punkt Mitternacht ließ ich alles fallen und liegen, ging in mein Zimmer und holte die Flasche Asti spumante hervor und ein Päckchen Zigaretten, die ich versteckt hatte. Ich setzte mich in mein Zimmer, zündete eine Kerze an und schüttete den süßen süffigen Sekt in mich hinein. Ich rauchte genüsslich ein paar Zigaretten und freute mich diebisch. Ja sicher. Meine Mutter würde toben am nächsten Tag. Meine Arbeit war nicht beendet, und natürlich würde das Konsequenzen haben. Konsequenzen, die mir zum ersten Mal in meinem Leben herzlich egal sein konnten. Ich saß auf meinem Bett und dachte über die letzten Jahre nach.
Ich verstand diese Menschen nicht. Ich verstand meine Mutter nicht, und ich verstand Jürgen nicht. Alle Bemühungen, es diesen beiden Menschen irgendwie recht zu machen, schienen völlig umsonst gewesen zu sein. Bei meinen Freundinnen zu Hause war alles anders als bei uns. Anka nörgelte ständig über ihre konservative Mutter, Gitta zoffte sich unentwegt mit ihrem despotischen Vater, und Dana hatte mehr mit ihrer ersten festen Beziehung zu tun, weil ihre Eltern seit einigen Wochen in Australien lebten. Danas Eltern vermisste ich sehr. Besonders ihre Mutter. Ich empfand sie als eine warmherzige Frau, die viel lachte und sehr agil war. Bei allen Freundinnen war ich gern zu Hause. Ich habe nicht ein einziges Mal das Gefühl vermittelt bekommen, unerwünscht zu sein. Ganz im Gegenteil. Meine Freundinnen hatten es schon seit Jahren aufgegeben, mich zu Hause zu besuchen. Sie hatten zu oft miterleben müssen, dass sich meine Mutter einen Dreck darum scherte, ob ich Besuch hatte oder nicht.
Dana sagte mir einmal: »Wie soll ich mich bei euch zu Hause wohl fühlen, wenn ich noch nicht einmal ein Glas Apfelsaft trinken darf?«
Sie hatte Recht. Meine Mutter hatte mir tatsächlich irgendwann eine Standpauke gehalten, weil Dana und ich ein Glas Apfelsaft getrunken hatten. Wir hätten gefälligst Wasser zu trinken, war ihr Tenor, sie wäre schließlich nicht der Getränkemarkt für meine Freundinnen.
Ich konnte noch gar nicht glauben, dass mit dem morgigen Tag dieses Leben beendet sein und Christine Al-Farziz ein Leben in Freiheit beginnen würde. Schon seit Wochen bereitete eine Armada von fleißigen Helfern meinen Umzug vor. Ich hatte ein Zimmer zur Untermiete angemietet, und Carla und ich hatten in einer Blitzaktion das Zimmer frisch gestrichen und den Boden geschrubbt. Dana und Anka hatten bei einem Bekannten einen Lieferwagen organisiert, und glücklicherweise hatte meine Mutter am morgigen Nachmittag eine Schulkonferenz. Jürgen musste zu einem Geschäftstermin nach Remscheid, und um sechzehn Uhr sollte die Aktion starten.
Am nächsten Morgen verlief alles nach Plan. Meine Mutter schrie mich erwartungsgemäß an, weil ich im Bad nicht fertig geworden war, und beendete ihr Szenario mit den Worten: »Und wenn ich nach der Konferenz wieder nach Hause komme, dann will ich das hier alles tipptopp sehen, verstanden?«
Ich nickte devot und räumte den Frühstückstisch ab. Jürgen war schon heute morgen ins Büro gefahren und würde nicht zum Frühstück erscheinen. Als meine Mutter die Wohnung verließ, blieb sie kurz mit der Türklinke in der Hand stehen, schaute mich an und sagte: »Ach so, du bist ja heute volljährig geworden! Hahaha! VERWACHSEN eher! Hahaha! Na ja dann, herzlichen Glückwunsch. Zeit zum Feiern hast du jedenfalls heute nicht! Hahaha!«
Als sie draußen war, atmete ich tief auf. Ich hoffte, dass ich diese Frau nicht mehr
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