Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)
konsultierte einen Zettel. »In der ersten Runde, so gegen sieben, wäre noch ein Tisch frei.«
Matzbach warf einen Blick auf die Wanduhr über dem Durchgang zur Küche. »Gleich fünf – ach, ich fürchte, in zwei Stunden könnte ich etwas essen. Was ist mit dir?«
Yü nickte. »Solange du ißt, redest du nicht; ich bin dabei.«
»Ich glaube, ich habe etwas vergessen«, sagte der Wirt. »Und zwar, Ihnen zu sagen, daß wir montags Ruhetag haben. Natürlich kriegen Sie morgen Frühstück, aber danach ist bis Dienstagmittag niemand da.«
Als sie um sieben in den Schankraum kamen, waren alle anderen Tische besetzt. Yü hatte auf der Treppe begonnen, den ›St James Infirmary Blues‹ zu summen; nun sang er halblaut »
and the usual crowd was there
«. Matzbach sah Lemberger (der sie mit einem Nicken und Lächeln begrüßte), den wie immer stummen Apotheker, der seiner Frau lauschte, den WDR-Mann mit Gipsfuß; und neben dem für Yü und Matzbach reservierten Tisch saßen die Fleißners, ihre privaten Berichterstatter Frau Sager und Herms sowie der Abgeordnete.
Da die meisten entweder mit dem ersten Schluck oder mit dem Studium der Speisenkarte beschäftigt waren, konnte niemand Pittrich überhören, der aufblickte, Matzbach mit einer Grimasse musterte und sehr laut sagte:
»Müssen Sie unbedingt neben unseren Tisch, Sie unangenehmes und besonders häßliches Geschöpf?«
Die Stille, die sich ohne erkennbare Wellen ausbreitete, wirkte auf Matzbach eher erwartungsvoll denn betreten. Er lächelte freundlich, salutierte und sagte:
»Ich bin nicht häßlich; ich sehe nur so aus. Sie dagegen sind auch inwendig ein Trottel.«
Pittrich lief rot an und schnappte nach Luft. Yü hob den Daumen. Als sie sich niederließen, hörte Matzbach gemischtes Kichern, einige Gäste klatschten; das vernehmliche Schweigen anderer stellte wohl Mißbilligung dar.
Der TV-Mann, Herms alias Hermes, räusperte sich. »Hören Sie«, sagte er; dabei blickte er zuerst Baltasar an, dann Pittrich, »könnten Sie beide wenigstens während des Essens das Feuer einstellen? Es wird sonst ungemütlich.«
Matzbach zuckte mit den Schultern. »An mir soll’s nicht liegen; ich hab ja nicht angefangen.«
Der Abgeordnete nickte und quetschte etwas durch die Zähne, das nur die neben ihm sitzende Frau Fleißner verstand. Sie legte eine Hand auf seinen Arm und sagte: »Na, na.«
Grinsend widmete Baltasar sich der Karte; plötzlich stand ein kleiner, hagerer Mann neben ihm, der drei Tische weiter Richtung Tresen gesessen hatte. ›Eher Männlein, Marke Haselmaus‹, dachte Matzbach. Dann fielen ihm die Siebenschläfer ein, er stellte sich den Mann im frisch erworbenen Monstertopf vor und unterdrückte ein Kichern.
»Entschuldigen Sie«, sagte der Kleine, mit dem Versuch eines gewinnenden Lächelns, »darf ich Ihnen das klauen?«
»Was meinen Sie?«
»Ihre wunderbare Antwort.«
»Kommt drauf an, was Sie damit machen wollen.«
Der Mann deutete auf seinen Tisch; neben dem Gedeck lagen ein Schreibblock und ein Tintenroller.
»Ich schreibe«, sagte er. »Und zwar eine Art Leitfaden; der Arbeitstitel ist
Handbuch der verbalen Selbstverteidigung
.«
»Klingt gut. Sind Sie sehr schlagfertig? Ist das aus eigener Erfahrung geschrieben?«
Der Hagere seufzte. »Erstens leider nein, zweitens leider ja. Mir fällt die richtige Antwort immer einen Tag später ein; deshalb … Das ist so eine Art Eigentherapie.«
Im Lokal war es gerade wieder sehr leise geworden; entweder warteten alle auf Wirt und Kellnerin, oder man hoffte auf weiteren Schlagabtausch.
»Na schön.« Matzbach wackelte mit den Ohren. »Unter Kollegen …«
»Ach, schreiben Sie auch? Was denn?«
Yü blickte mit einer Grimasse von seiner Karte auf, als wolle er sagen: Na, nun laß dir schnell was einfallen.
»Ich«, verkündete Matzbach mit hallendem Baß, »stelle gerade eine Anthologie zusammen.
Die hundert furchtbarsten Gedichte der deutschen Literatur
.«
»Das klingt gut.« Der kleine Mann strahlte. »Vielleicht könnten Sie uns nachher etwas vortragen?«
»Noch ’n Gedicht«, sagte Pittrich. »Hilfe.«
»Ihnen hilft hier keiner.« Matzbach runzelte die Stirn. »Also, eigentlich bin ich nicht fürs Deklamieren zuständig, aber wenn Herr Pittrich soviel Wert darauf legt …«
Die ersten Speisen wurden aufgetragen. Der kleine Mann bewegte die Hand in einer etwas verzagt wirkenden Mischung aus Winken und Verabschiedung und ging zurück zu seinem Platz.
Mertens kam zu ihnen, sobald er
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