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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den anderen Nichtstuern. Okay, er ging ein Risiko ein. Wer konnte ihm das vorwerfen?
    Es war kurz nach elf, als er aus dem Wagen stieg, ein paar Lichter brannten noch in den Häusern, aber es war niemand unterwegs, nichts rührte sich, nicht einmal ein Hund oder eine Katze. Er huschte geräuschlos die Straße entlang, immer bereit, sich in die Büsche zu schlagen, falls ein Wagen vorbeifahren sollte – es wäre schwer, seine Aufmachung und seine Mission zu erklären, und selbst wenn er in der Lage wäre, sich zu erklären, konnte er kaum viel Sympathie von dem betroffenen Hausbesitzer erwarten, der zweifellos General Electric und der Firmenmission applaudierte, mehr Elektrizität ins Tal zu bringen, um noch mehr Häuser und infolgedessen mehr betroffene Hausbesitzer zu schaffen. Er sah sich selbst an einem Küchentisch sitzen und versuchen, einem Yuppie-Hausbesitzer die Biogeographie insulärer Habitate, das Artensterben und den Ozonschwund in den höheren Schichten der Atmosphäre zu erklären, während der ihm mit einer noch nie benutzten Achtunddreißiger auf die Halskrause zielte. Nein, wer auch nur einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschte, der würde ihn für einen Einbrecher halten, und falls es so weit draußen Polizeistreifen gab, würden die einmal hinsehen und dann schießen.
    Er umschlich ein Haus, dessen Verandalicht brannte, dann schlug er sich über das einzige leere Grundstück dieser weitläufigen Fünfhundert-Häuser-Siedlung ins Gestrüpp. Hier konnte er durchatmen. Hier roch er den Duft von Salbei und sonnengebackener Erde, die mit Spreu und Samen der in ihr wachsenden Pflanzen übersät war, Wüstenleben und Wüstensterben. Er setzte sich auf einen Sandsteinblock, um die dicken schwarzen Socken über die Stiefel zu ziehen, und sah das San Fernando Valley unter sich ausgestreckt wie eine dunkle Grube, in die alle Sterne des Universums hineingeschüttet worden waren. Jedes Licht dort unten, jeder dieser unzähligen Lichtpünktchen markierte ein Haus oder ein Geschäft, und was würde wohl sein Vater dazu sagen? Was würde Sy Tierwater, der Baumeister von Einfamilienhäusern und Einkaufszentren, über das denken, was sich da vor ihm ausbreitete? Dies war das Ergebnis von zehntausend, hunderttausend Tierwaters, die jenseits aller Vernunft und Grenzen ausufernde Stadt. Würde er sagen: Genug ist genug – oder würde er all diesen furchtlosen Baumeistern Beifall spenden, ein Dankgebet sprechen für die vielen Dächer, die für die vielen ehrgeizigen Menschen da unten errichtet worden waren? Eine Eule schrie lauthals, wie zur Antwort; Tierwater hörte das Geräusch ihrer Schwingen und hob den Kopf unter Schmerzen, um die dunkle Vogelgestalt über den mondlosen Himmel ziehen zu sehen.
    Die Antwort war eindeutig: Sy Tierwater hätte das alles prima gefunden – und verabscheut, was sein Sohn gerade im Schilde führte.
    Die Nacht war zum Nichts geschrumpft, die Sterne glommen matt durch die Smogglocke hindurch, die gelbliche Kuppel des Lichtsmogs teilte den Himmel hinter ihm. Auf leisen Sohlen ging er den Hügel hinter der Siedlung hinunter auf die Mondlandschaft der Baustelle zu, jeder Schritt sicher, kein Stein rollte, kein Ast knackte, um ihn zu verraten. Er war nicht leichtsinnig. Er kannte das Gefängnis und wollte nicht wieder zurück, das war klar, und er kannte Andrea und ihren Zorn, aber auch ihre Liebe und Zuneigung. Heute nacht durfte es keine Schnitzer geben. Allein sein Hiersein würde sie zur Weißglut bringen, wenn sie davon wüßte – und inzwischen wußte sie es garantiert. Er riskierte alles, das war ihm klar. Andererseits, was war eine Ehe, eine Tochter, ein Spießerleben im Vergleich zum Schicksal der Erde?
    Manchmal, wenn er auf seinen Wanderwegen träumte, wenn ihm der Wind ins Gesicht wehte und das Hartlaubgestrüpp in der sengenden Sonne dalag, wünschte er sich einen Rächer, der herabfuhr und sie alle auslöschte, all die wimmelnden Massen da draußen mit ihren Hondas und Küchenmaschinen und Tagesdecken und Spitzentüchlein und Videorecordern. Einen Kometeneinschlag. Die Pest, zur Unkenntlichkeit mutiert und wiedergekehrt, um das Land heimzusuchen. Feuer und Eis. Die Endlösung. Und in all diesen Szenarien überlebte Ty Tierwater wundersamerweise – und seine Frau, seine Tochter und ein paar andere, die Respekt für die Erde hatten –, und sie würden die neue unzivilisierte Zivilisation auf der Asche der alten aufbauen. Kein Fortschritt mehr. Kein Konsum. Nur das

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