Ein gefaehrlicher Liebhaber
nach dem ging, was sie bisher entdeckt hatten, müsste es auch hier einen Pfad geben, der hinaufführte, also machte er sich systematisch auf die Suche. Offenbar war dies sein Glückstag, denn er fand ihn innerhalb weniger Minuten.
Er arbeitete sich nach oben und stellte dort etwas Ungewöhnliches fest: Im Gegensatz zu den anderen Pfaden, die zu den Ebenen hinaufführten, gab es hier einen zweiten, der von der anderen Seite kam und sich mit dem, den er hinaufgestiegen war, in einem umgekehrten V traf.
Laut Jillians Anweisungen musste sich direkt vor ihm, in diesem Felsspalt, der Tempel der Anzar befinden. Er spähte nach oben, und abermals überlief ihn ein Schauder. Hoch über ihm sah er riesige Säulen, direkt aus dem Felsen gehauen. Sie waren fast vollständig von Kletterpflanzen überwuchert, aber er konnte sie dennoch klar erkennen.
Er trat näher und begann auf der Suche nach der Öffnung den Stock in den dichten grünen Teppich zu stoßen. Wenn sein Stock auf Stein traf, ging er einen Schritt weiter und stach noch einmal zu. Beim vierten Versuch traf der Stock ins Leere, und da wusste er, dass er gefunden hatte, was er suchte.
Also würde er die Taschenlampe doch noch brauchen. Mit einer Hand schob er die Ranken beiseite, knipste dann die Lampe an und ließ ihren Strahl über die riesige Kammer schweifen, die dahinterlag. Als er entdeckte, was sich darin befand, entschlüpfte ihm ein ehrfürchtiger Fluch.
Statuen. Gottverdammt noch mal. Riesige Statuen aus Stein. Die Figuren waren überlebenshoch, manche über zwei Meter, und standen auf hohen Sockeln, sodass sie insgesamt an die drei Meter maßen.
Die Handwerkskunst war unglaublich, besser als alles, was er je von den Inkas oder Mayas gesehen hatte, obwohl ähnlich im Stil. Die Gesichtszüge waren weniger übertrieben, die Proportionen normaler. Er bekam jetzt eine dicke Gänsehaut und merkte, dass er unwillkürlich den Atem anhielt. Er zwang sich zum Ausatmen, konnte aber das fast überwältigende Gefühl von Ehrfurcht und Staunen nicht abschütteln.
Die Statuen stellten Krieger dar. Jeder mit einer anderen Bewaffnung, einige mit Speeren, andere mit Bogen und Köchern voller Pfeile, wieder andere mit Knüppeln.
Und alle waren weiblich.
15
Er bewegte sich jetzt noch vorsichtiger als zuvor, kämpfte sich durch das Dickicht aus Kletterpflanzen und Lianen hinein in die kühle Dunkelheit. Er kam sich vor wie ein Eindringling, als wüssten die leeren Augen, die auf ihn herabstarrten, dass er nicht hierhergehörte. Er war ein Mann, ein Fremdkörper in diesen Hallen. So ein Gefühl hatte er nie zuvor gehabt, nicht einmal, als er eines unvergesslichen Tages eine Frau auf die Damentoilette verfolgt hatte.
Nun hatte Jillian ihren atemberaubenden Fund. Diese Figuren würden die Welt, selbst ohne Kaiserin, aufhorchen lassen, und nicht bloß die Welt der Archäologie. Auch die Historiker des Erdballs würden die Tragweite dieser Entdeckung untersuchen wollen.
Es gab keine Falltüren, die plötzlich aufgingen, kein Stück Boden, das bröckelnd unter ihm nachgab. Fester Stein lag unter seinen Füßen. Er schritt einfach durch die Allee der stummen Wächterinnen dieses Heiligtums nach vorne.
Sie befand sich ganz am Ende in einem Alkoven, eine Grabstätte, ebenfalls aus Stein und voller Staub und Spinnweben, wie alles in dieser stillen Halle. Das Flachrelief eines Mannes hob sich deutlich von der Oberfläche des Sarkophags ab. Über dem Grabmal, in einer separaten Nische, stand ein weiterer Wächter. Dort, selbst unter dem Staub ungezählter Jahre schimmernd, im Schein seiner Taschenlampe rot aufglühend, dass ihm der Atem stockte, lag die Kaiserin.
Sie war riesig, größer als seine Faust, und besaß die ungefähre Form eines menschlichen Herzens.
Ein Vermögen funkelte ihm ins Gesicht. Er kannte sich ein wenig aus mit Diamanten, lebte er doch schon lange genug in
Brasilien, und das hier sah bestimmt aus wie einer. Klar bestand die Möglichkeit, dass es sich hierbei um einen Granat handelte, aber es war wenig wahrscheinlich. Der Stein besaß einfach zu viel Feuer, zu viel Tiefe. Die Formgebung des Steins war eher grob, dennoch war er unvergleichlich. Die meisten farbigen Diamanten waren blass; Diamanten in leuchtenden Farben waren extrem selten, meist sehr klein und sehr, sehr teuer. Er hatte gehört, dass rote Diamanten am seltensten waren, und hier vor ihm lag einer, der nicht nur von einem intensiven, leuchtenden Rot war, sondern obendrein so groß wie der
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