Ein Gentleman wagt - und gewinnt
auszusprechen?
Plötzlich merkte Lady Penrose, dass sie stocksteif mitten im Flur stand. Als sie zur Treppe gehen wollte, fiel ihr auf, dass aus dem Raum, der an das Zimmer ihrer Patentochter grenzte, ein Luftzug wehte. Offenbar hatte ein Dienstmädchen dort sauber gemacht und vergessen, die Fenster zu schließen. Um dieses Versäumnis nachzuholen, schob Ihre Ladyschaft die halb offene Tür auf, um das Gemach zu betreten – und hielt verblüfft inne, als sie der Staffelei und des darauf befindlichen Bildnisses ansichtig wurde.
Normalerweise pflegte ein lebhafter Galopp Bartons Laune zu bessern. Aber dieser Ausritt bildete eine Ausnahme – kein Wunder, nach der Neuigkeit, die er von seinem Patenonkel erfahren hatte … Trotzdem weigerte er sich, in tiefer Melancholie zu versinken oder die Pflichten eines Gastgebers zu vernachlässigen.
Ins Haus zurückgekehrt, führte er den Colonel in die Bibliothek, um ihm ein Glas Burgunder anzubieten. Verwirrt hielt er inne, als er Lady Penrose vor dem Kamin sitzen sah. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen auf die Armstütze ihres Sessels.
Nie zuvor war sie in sein privates Heiligtum eingedrungen. Doch jetzt verriet ihre kampflustige Miene, dass sie sich berechtigt fühlte, gegen ein ungeschriebenes Gesetz zu verstoßen.
“Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Ma’am?”, erkundigte er sich.
“So könnte man es ausdrücken”, bestätigte sie prompt. “Übrigens, das Problem betrifft auch Sie, Sir”, fügte sie hinzu, als der Colonel sich taktvoll zurückziehen wollte.
Belustigt über ihren schroffen Ton, unterdrückte Barton ein Lächeln und ging zum Büfett mit den Karaffen. Obwohl der Colonel seit seiner Ankunft deutlich genug bewiesen hatte, wie sehr er seine Enkelin liebte und sich um sie sorgte, war Ihre Ladyschaft offenbar nach wie vor nicht bereit, ihm zu verzeihen, dass er Abbie jahrelang so unfreundlich behandelt hatte.
“Darf ich Sie zu einer Erfrischung einladen, Ma’am?”, fragte Barton, in der Hoffnung, die streitbare Dame zu besänftigen. “Vielleicht zu einem Gläschen Ratafia?”
“Das dürfen Sie, Sir. Indes würde ich Portwein vorziehen.”
Colonel Graham runzelte nachdenklich die Stirn. Er schien Lady Penrose Wahl zu missbilligen.
Gleichwohl reichte Barton ihr das gewünschte Getränk. Dann bat er sie, ihr Anliegen vorzutragen.
“Also, es geht um meine Patentochter …” begann Ihre Ladyschaft. “Oh, keine Bange, sie hat keinen Rückfall erlitten”, fügte sie hinzu, als sie Bartons besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. “Heute ist sie sogar zum ersten Mal aus dem Haus gegangen, und jetzt sitzt sie im Garten und genießt die frische Luft.”
Damit beruhigte sie Barton keineswegs. “Ist das ratsam, Ma’am? Wo der Doktor doch eigens betont hat, Abbie müsse sich noch eine Zeit lang schonen und …”
“Unsinn”, unterbrach sie ihn, “sie ist so gut wie genesen. Dem Himmel sei Dank!”, fuhr sie fort und warf dem Colonel einen vernichtenden Blick zu. “Denn sie wird ja bedauerlicherweise gezwungen sein, schon in ein paar Tage eine lange, beschwerliche Reise anzutreten! Das heißt – wenn Sie es gestatten, Barton.”
Wie eine unheilvolle Drohung hingen ihre Worte in der Luft. Der Colonel, dessen Wangen beängstigend rot anliefen, schien seinen Zorn nur mühsam zu zügeln. Genauso deutlich bekundeten Bartons zusammengepresste Lippen sein Missfallen, bevor er sich abrupt zum Fenster wandte. “Bedenken Sie bitte, Ma’am …” Lediglich seine Hochachtung vor Lady Penrose hinderte ihn daran, mit schärferer Stimme zu sprechen. “In dieser Angelegenheit habe ich nichts zu sagen.”
“Was für eine alberne Ausrede!”, rief sie verächtlich. “Niemals hätte ich einem Mann Ihres Charakters zugetraut, untätig mit anzusehen, wie die geliebte Frau das Weite sucht.”
Verwirrt fuhr er zu ihr herum. Sein Mienenspiel verriet ihr die widersprüchlichen Gefühle, die in ihm kämpften – Hoffnung und Unsicherheit.
“Bilden Sie sich etwa ein, Abbie würde Ihre Liebe nicht erwidern, Barton? Heiliger Himmel! Sind Sie wirklich derart blind? Um Ihr Leben zu retten, wäre sie fast gestorben!”
“Das werde ich niemals vergessen”, entgegnete er leise. “Aber so einfach, wie Sie glauben, ist es nicht.” In einem Zug leerte er sein Portweinglas, dann stellte er es beiseite. “Es gibt Hürden, die ich überwinden müsste, bevor …”
“Pah!”, fiel sie ihm energisch ins Wort und stärkte sich ebenfalls mit einem großen
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