Ein Gentleman wagt - und gewinnt
angeeignet haben, muss ich wohl nicht fragen”, murmelte Barton laut genug, dass Searle es hörte.
“Aye, Sie sind ein schlauer Mann, Major”, meinte er amüsiert. “Wirklich schade, dass Sie mich von Anfang an nicht leiden konnten … Mit vereinten Kräften hätten wir’s weit gebracht.”
“Damit durften Sie niemals rechnen. Ich wähle meine Freunde sehr sorgfältig aus.”
“Klar, Major. Genau wie Ihre Liebhaberinnen. Nicht so wie die armen gemeinen Soldaten, die sich mit gewöhnlichen Marketenderinnen begnügen mussten. Für
Sie
immer nur das Beste …” Searle warf Abbie einen höhnischen Blick zu. “Was meinst du, Doddy? Willst du dich jetzt mit diesem hübschen kleinen Ding vergnügen? Aber mach schnell, man kann nie wissen, wann die Soldaten anfangen, nach meinem Major und seiner Liebsten zu suchen. Also müssen wir ihre Leichen schleunigst beseitigen.”
Abbie wusste nicht, was sie am meisten anwiderte – Searles unverblümte Ankündigung seiner Absichten oder Dodds schmutzige Finger, die sich an den Knöpfen seiner Breeches zu schaffen machten. Mit aller Kraft würde sie sich gegen diesen Bastard wehren. Dazu war sie glücklicherweise imstande, denn inzwischen hatte sie ihre Handgelenke von den Fesseln befreit.
“Wenn Sie Miss Graham anrühren, werde ich Sie töten”, erklang in diesem Moment Bartons eisige Stimme.
“Nur zu, mein Junge!”, ermunterte Searle seinen Spießgesellen. “Ich halte ihn in Schach. Los, beeil dich!”
Hätte er von der Pistole gewusst, die unter Abbies Röcken verborgen lag, wäre er gewiss nicht so leichtsinnig gewesen, seinem Kumpan diesen Ratschlag zu erteilen. Wie gut Barton Cavanagh mit Feuerwaffen umzugehen verstand, hatte sich in der ganzen Armee herumgesprochen. Gerade war Dodd auf die Knie gesunken, eifrig bestrebt, seine Lust zu stillen, und im nächsten Moment lag er leblos am Boden.
Kaum dass der ohrenbetäubende Schuss verhallt war, sprang Barton auf und schleuderte die Pistole in Richtung des zweiten Peinigers.
Bedauerlicherweise erholte sich Searle viel zu schnell von dem schmerzhaften Schlag gegen seinen Arm und zückte seine Waffe, ehe Barton sich auf ihn stürzen konnte. In kaltem Entsetzen beobachtete Abbie, wie sich der Finger des Schurken um den Abzug krümmte und ein hässliches, boshaftes Grinsen seine Lippen verzerrte. Der Mann, den sie liebte, stand direkt in der Schusslinie, offenbar entschlossen, die Kugel abzufangen, die sie vielleicht treffen würde.
Durfte sie das zulassen? Wenn er sie rettete und dabei starb … Ohne ihn wollte sie nicht weiterleben.
Barton wusste nicht, wie ihm geschah. Während er alle seine Muskeln anspannte und sich darauf konzentrierte, Searle zu entwaffnen, warf Abbie sich auf ihn. Er taumelte seitwärts, der Knall eines zweiten Schusses dröhnte ihm in den Ohren.
Er hielt Abbie fest, sank mit ihr zu Boden und starrte auf den dunklen Fleck, der sich auf dem Oberteil ihres Reitkostüms ausbreitete. Und dann lag sie da, eine reglose Gestalt in seinen Armen. Sollte er wider besseres Wissen hoffen, sie wäre nur ohnmächtig und würde gleich wieder ihre schönen blauen Augen öffnen? Nein, er war nicht der Mann, der eine grausame Realität nicht zu akzeptieren vermochte. Und auch kein Mann, der in Trauer versank, wenn er seine ganze Kraft brauchte, um eine schwere Aufgabe zu erledigen.
Vorsichtig bettete er Abbie ins Stroh und spürte, wie heißer Zorn seine Verzweiflung verdrängte, als er seinen Feind zurückweichen sah. Von wildem Rachedurst getrieben, erhob er sich, stürmte hinter Searle her und holte ihn im Hof ein.
Mit beinahe spielerischer Leichtigkeit zwang Barton ihn zu Boden. In den nächsten Sekunden kannte er keine Gnade. Einen Arm um den Hals des Schurken geschlungen, trachtete alles in ihm danach, zu Ende zu bringen, was die Armee vor Jahren versäumt hatte, und die verdiente Strafe zu vollstrecken. Doch da ermahnte ihn die Stimme seines Gewissens. Während des Krieges in Spanien war er ein tapferer, ehrenwerter Offizier gewesen, der seine Feinde nur auf dem Schlachtfeld getötet hatte, kein kaltblütiger, rachsüchtiger Mörder.
Wie von selbst schienen sich seine Armmuskeln zu lockern. Dann drangen Hufschläge in sein Bewusstsein. Aber er ließ Searle erst los, als jemand ihn beharrlich von ihm wegzog. Schließlich stand Barton auf und sah den Mann an, der ihn nach Abbie fragte. “Sie finden Ihre Herrin im Stall, Josh.”
“Müssen wir uns sonst noch um jemanden kümmern?”, Major
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