Ein Geschenk zum Verlieben
nichts zum Wechseln dabei, keine Zahnbürste, nichts â¦
Kitty lief die Treppe hinauf. Dabei musste sie ein paar selbstgebastelten Schleudern ausweichen und auch der dazugehörigen Munition â kleinen Kartoffeln â, die auf den Stufen herumlagen. Laura folgte ihr. Kitty ging ins Bad und drehte den Wasserhahn auf. Laura konnte hören, wie die Rohrleitungen in den alten Wänden mit lautem Gegurgel und Geklapper zum Leben erwachten.
Sie schaute im Vorbeigehen in ein Kinderschlafzimmer. Die Toy-Story-Vorhänge an den Fenstern tauchten den Raum in einen bläulichen intergalaktischen Schein. Auf einem der Stockbetten lag ein Haufen benutzter Kleidung und Kostüme, auf dem Schreibtisch stand eine vergessene Lavalampe. Der Teppich war kaum zu sehen vor lauter Spielsachen. Wie gelangten die Kinder zu ihren Betten? Schwebend? Vielleicht konnte sie ihre Hilfe aufdrängen, indem sie sich erbot, die Legosteine nach Farben zu sortieren?
»Komm, das ist dein Zimmer«, rief Kitty. Laura ging der Stimme nach und schaute in ein hübsches, altmodisch eingerichtetes kleines Zimmer: abgetretener rotbrauner Teppichboden, lila Blümchenvorhänge. Sie kam sich vor, wie in die Fünfzigerjahre zurückversetzt, wie in einen Agatha-Christie-Film. Am Kleiderschrank hing ein Vintage-Kleid aus ebenjener Epoche, mit weit ausgestelltem Rock.
»Verbier ist das hier nicht gerade«, sagte Kitty errötend. Sie bezog das Bett mit einer weiÃen Bettwäsche mit Monogramm, aus GroÃmutters Zeiten.
»Gott sei Dank«, lachte Laura, »dieser ganze Luxus hat mich fast umgehauen. Ich finde es hier einfach wunderbar.«
Kitty richtete sich strahlend auf. Stolz schaute sie sich um. »Ja, das ist unser Heim.«
Unten fiel krachend die Haustür zu. Die Brut war heimgekehrt. »Ach Gott, da sind sie schon«, sagte Kitty, »du steigst am besten sofort in die Wanne, solange das noch möglich ist. Bald wird es im Bad ein Gedrängel geben, und das heiÃe Wasser wird knapp werden.« Sie drückte Laura zwei fliederfarbene Frotteehandtücher in die Arme und schubste sie in den Gang hinaus. »Ach ja, und ich entschuldige mich schon mal im Voraus für das Benehmen der kleinen Ungeheuer.«
Lauras Lächeln verschwand. »Was? Wie meinst du das? Was werden sie mit mir anstellen?«
Kitty zuckte mit den Achseln. »Wer kann das schon wissen? Ich entschuldige mich jedenfalls bereits jetzt.«
Laura konnte Kittys Herde sogar noch unter Wasser hören. Laute Auseinandersetzungen und fröhliches Gelächter drangen herauf, durch die Decke und durch die glatte weiÃe Emailleunterseite der Badewanne, auf der ihr blanker Po ruhte. Und immer wieder Kittys Stimme, mal schimpfend â als jemand mit Karotten warf â, mal tröstend, weil jemand vom Stuhl gefallen war. Familienleben pur.
Lauras Augen brannten. Lautlos verschwand sie wieder unter der schaumigen Wasseroberfläche. Jetzt wurden offenbar Weihnachtslieder geübt, wie sie noch unter Wasser deutlich hörte. Wie lange sie wohl hier oben bleiben sollte? Was war angebracht? Was war höflich? Bis die Kinder im Bett waren? Interessiert schaute sie sich im Badezimmer um, als könne es ihr etwas über den Alltag der Familie verraten. Mintgrüne Wände, mit einer hübschen kleinen Zierleiste auf halber Höhe. Die Schlingmatte vor der Wanne war dick und kuschelig â zweifellos frisch gewaschen. Die Handtücher dagegen, die über den Stangen und an Haken an der Tür hingen, waren eher ⦠zerknautscht. Sämtliche Shampoos auf dem Wannenrand waren von der Sorte »Brennt nicht in den Augen«, ausgenommen eine schlanke Flasche Head & Shoulders, dazwischen tummelten sich halb volle Schaumbadflaschen. Neben dem Waschbecken stand ein riesiger Becher, wo offenbar die Zahnbürsten ihr letztes Dasein fristeten. Laura zählte ganze zwölf Exemplare, dazu drei Sorten Zahnpasta. Vor dem Waschbecken stand ein Plastiktreppchen, in einer Ecke ein rotes Töpfchen.
Der Alltag einer GroÃfamilie breitete sich vor ihren staunenden Augen aus. So etwas hatte sie selbst nie gekannt. Ihr eigenes Bad wirkte dagegen wie aus dem Prospekt: Kalkstein-Replika-Fliesen, elegante Mischhähne, elektrische »Er«- und »Sie«-Zahnbürsten, fein säuberlich nebeneinander auf ihren jeweiligen Ladestationen. Wanne und Fliesen zum Spiegeln, ihr Bad blitzte und blinkte vor
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