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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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saß natürlich im Unterricht. Sie musste ins Klassenzimmer und ihn eigenhändig von dort wegholen. Sie sprang auf ihr Rad und schlug die Route durch die Johannes Verhulststraat ein. Das Heulen der Sirenen wurde lauter.
    »Vielleicht das Concertgebouw!«, hörte sie Leon hinter sich rufen.
    Aber Sonja wusste es bereits. Sie hatte einen siebten Sinn. Schon als Kind wusste sie vieles, bevor sie es tatsächlich wissen konnte.
    »Oder das Rijksmuseum! Oder das Van Gogh!«, hörte sie Leon beschwörend rufen, sein Abstand zu ihr wurde größer. Sie trat wie eine Besessene in die Pedale. Besessen war sie auch. Und sie sah die Straße schon, bevor sie die Straße sehen konnte. Und sie fühlte, was Nathan fühlte: Angst. Erstickende, durch und durch gehende Angst.
    Polizisten nötigten sie, zu bremsen und abzusteigen. Sie sah, was los war. Fünf Streifenwagen standen entlang der schmucklosen Nordseite des Concertgebouws, wo die Alexander Boersstraat abzweigte. Aus zwei schweren, eckigen blauen Polizeibussen mit Schutzgittern vor den Fenstern stiegen etwa zwanzig Polizisten aus, in normaler Uniform, aber mit großen Waffen in der Hand. Vor den Bussen stehend, legten sie kugelsichere Westen an. Die Sirenen heulten ohrenbetäubend weiter.
    Sonja stieg vom Rad. Lieber Nathan, dachte sie, lieber Junge, wir sollten nicht hier sein, wir sollten jetzt in der Businessclass eines Flugzeugs sitzen, das uns zu einem komfortablen Hotel in Asien bringt, sollten uns Spielfilme ansehen, die wir im Kino verpasst haben, alles wäre besser gewesen, als hierzubleiben.
    »Ich muss durch!«, schrie sie keuchend über die Sirenen hinweg, obwohl sie wusste, dass sie keine Chance hatte. »Ich muss meinen Sohn aus der Schule holen!«
    »Sie können hier nicht durch!«, kam die erwartete Antwort. Der Mann, ein Polizist ohne Mütze, in einer Jacke mit schwerem Gürtel um die Taille, hatte keine andere Wahl. Auch er konnte das Sirenengeheul kaum übertönen.
    »Ich muss wirklich meinen Sohn abholen! Es ist hier gleich um die Ecke! Dauert nur zwei Minuten! Bitte!«
    Leon stand jetzt neben ihr.
    »Hier darf niemand durch!«
    »Wie soll ich dann zur Schule meines Sohnes kommen?«
    »Das geht jetzt nicht! Hier ist alles abgesperrt!«
    Sie wusste es. Aber sie konnte es nicht aussprechen. Der Polizist sollte es sagen.
    Sie schrie: »Was ist denn los?«
    »Ich weiß es nicht, tut mir leid!«
    »Sie wissen es sehr wohl! Sie müssen mir sagen, was los ist! Ich kann nicht zu meinem Kind, weil Sie mich daran hindern, und da habe ich das Recht zu erfahren, warum Sie mich daran hindern!«
    Der Mann bedachte sie mit einem besorgten Blick, wandte sich ab, schüttelte den Kopf, dachte einige Sekunden lang nach.
    Dann sah er sie wieder an, entschuldigend, wie es schien. »Es ist die Schule!«
    Sonja kreischte die drei Buchstaben, Panik in der Stimme: » VSV ?«
    »Ja!«
    »Was ist dort passiert? Erzählen Sie mir, was dort passiert ist!«
    »Da ist… Wir bekamen Anrufe, dass dort geschossen wurde! In der Schule! Sie ist offenbar… Sie ist offenbar besetzt worden! Wir haben noch keine gesicherten Informationen! Tut mir leid!«
    Sonja krümmte sich, so sehr krampften sich ihr Magen und Bauch zusammen. Sie taumelte, und Leon hielt sie fest. Sie bekam keine Luft, sie konnte nichts sagen, nicht einmal den Namen ihres Kindes. Sie musste sich den Bauch halten, weil sie das Gefühl hatte, dass es sie zerriss. Ihre Beine knickten ein, Leon konnte sie nur noch auf den Boden gleiten lassen, und als sie dort auf der Straße lag, schrie und weinte sie, ohne dass ihrer Kehle ein Laut entwich.

25
    GEERT
    Sämtliche gepanzerten Personenwagen waren besetzt, und so wurde er nun mit einem anonymen Mercedes-Transporter gefahren, hellgrau, mit komfortablem Interieur. Der Laderaum war unterteilt. Er saß allein im Mittelteil, der durch kugelsichere Zwischenwände mit kugelsicheren Scheiben von der Fahrerkabine und dem hinteren Teil abgetrennt war, in dem sich zwei gegenüberstehende Sitzbänke befanden. Er hätte genauso gut ein Häftling sein können. Vorne saßen zwei erfahrene Leute vom Schutz- und Begleitdienst für Königshaus und Diplomaten DKDB, hinten vier. Schlanke, gutausgebildete Männer, intelligente Killer im Dienste des Staates.
    Der Transporter hatte schwere Ledersitzbänke und allerlei eingebaute Gerätschaften, wie etwa Sauerstoffflaschen, die das Weiteratmen im Wagen im Falle eines Gasanschlags ermöglichten. Rundherum natürlich kugelsichere Scheiben. Eine Bodenplatte,

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