Ein gutes Herz (German Edition)
die die Explosion einer Mine aushielt. Reifen, die Kugeln schluckten. State of the art hieß so etwas heutzutage. Es hing ihm zum Hals raus.
Manchmal hoffte er, das Kabinett würde stürzen. Dann könnte er die anschließenden Neuwahlen verlieren, in die USA gehen, um sich dort einem amerikanischen Think-Tank anzuschließen, und ein normales Leben leben. Beinahe hätte er das Kabinett über die Einsparungen zum Straucheln gebracht, die die Niederlande vornehmen mussten, um die Haushaltsvorgaben der EU zu erfüllen, doch er war im letzten Moment davor zurückgeschreckt.
Ayaan hatte es in Amerika geschafft. Er konnte es auch schaffen. Die Aversionen, die er auslöste, hatten ihn seelisch angegriffen. Und es hatte ihn auch körperlich erschöpft, dass er immer gegen den Strom ruderte, nein, gegen den Strom schwamm, ohne Ruder, ohne Hilfsmotor. Tagtäglich Drohungen. Tagtäglich die Konfrontation damit, dass man sich seine Enthauptung wünschte, die Amputation seiner Gliedmaßen, die Abtrennung von Schwanz und Eiern, das Auslöffeln seiner Augen. Tagtäglich.
Er sei rechtsradikal, hieß es. Die Flut der Drohungen bewies, dass er den widerlichen, hasserfüllten Kern seiner Gegner freigelegt hatte. Die Natur des Gegners erkannte man daran, wie er mit Kritik umging. Nur wenige konnten sich mit seiner Marschrichtung anfreunden. Er war auf eine Wahrheit gestoßen, deren öffentliche Verkündung den politischen Eliten gegen den Strich ging. Was immer du auch behauptest, ich werde dich niemals öffentlich unterstützen, selbst wenn du recht hast – das hatte ihm Harry Mulisch noch kurz vor seinem Tod gesagt. Mulisch war ein großer Schriftsteller, einer der bedeutendsten Intellektuellen im Land. Paul Scheffer, ein führender sozialdemokratischer Denker, hatte ihm Ähnliches anvertraut. Gut, du kennst die Wahrheit, aber wer legt Wert auf die Wahrheit, wenn nichts damit zu gewinnen ist?, hatte Alexander Pechtold, einer seiner aggressivsten politischen Widersacher, ihm einmal hinter den Kulissen zugeflüstert. Natürlich hast du recht, so Pechtolds Worte, aber langfristig wirst du immer der Verlierer sein.
Um zehn nach acht hatte er einen Anruf von Donner erhalten. Da war in dieser Schule noch nichts passiert. Aus dem Flugzeug, das schon eine Stunde unterwegs war, war eine weitere Forderung gekommen. Eigenartig. Der Deal war eigentlich schon perfekt. Boujeri befand sich an Bord. Wegen der Matrosen habe man nicht eingreifen können, sonst hätten sie die Maschine notfalls vom Himmel geschossen, war ihm versichert worden.
Der Mercedes-Transporter bog in eine Straße in Amsterdam-Süd ab. Schmucke Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert, in denen progressive Akademiker wohnten, die ihn verabscheuten. Sie wohnten nicht inmitten von Jugendlichen wie denen, die die Zerstörung der Stopera und die Flugzeugentführung und die Geiselnahme auf dem Gewissen hatten, Jugendlichen, die ihm seit Jahren die Pest und Krebs und Cholera an den Hals wünschten. Er war hier verabredet.
Moszkowicz hatte alle seine Termine abgesagt und befand sich bei Freunden, deren Kind in dieser Schule war. Es handelte sich um Leon de Winter und dessen derzeitige Freundin. De Winter gehörte zu den intellektuellen Drückebergern, die unter vier Augen sagten, dass sie ihn voll unterstützten, sich in der Öffentlichkeit aber immer distanzierten. Geert Wilders hatte genug davon, so zu leben. Er würde jetzt alles aufs Spiel setzen. Gewinnen oder verlieren. Diesem Leben unter ständigen Todesdrohungen, wegen denen seine Ehe in die Brüche gegangen war, würde er heute ein Ende machen.
Das Haus, in dem er erwartet wurde, war schon von einer anderen Einheit des DKDB durchkämmt worden. Die Schule befand sich keine tausend Meter von dort entfernt. Er würde das größte Wagnis seiner politischen Laufbahn eingehen. Nein, seines ganzen Lebens.
Die Männer stiegen aus dem Transporter aus und bildeten einen Sicherheitskordon zur Eingangstür. Dort erwartete ihn bereits de Winter. Wilders hatte ihn seit mehreren Jahren nicht gesehen. Er war dicker geworden, sein Haar begann, sich zu lichten. Aufgedunsen. Offensichtlich zu wenig Bewegung. Wilders war ihm drei-, viermal begegnet, immer im privaten Kreis, immer ohne Topfgucker. Nach Nine Eleven hatte de Winter kritisch und ausführlich über den radikalen Islamismus geschrieben, aber er hatte nie gewagt, sich offen als Sympathisant von Wilders zu outen. Für einen Intellektuellen beziehungsweise Pseudo-Intellektuellen,
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