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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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kommen würde, hielt er die Hände fast fromm gefaltet.
    Nicht klug, wie Cohen sich verhielt, fand Donner. Job trug schon sein Leben lang das Geheimnis um seinen Vater mit sich herum, und wenn es jetzt bekannt wurde, würden die Medien dafür sorgen, dass es einschlug wie eine Bombe und Cohen vernichtete. Er wollte sich zur Ruhe setzen. Dass man ihn dazu zwingen würde, war sehr wahrscheinlich. Binnen kurzem. Aber die Affäre mit Professor Doktor Marijke Hogeveld würde wohl nie an die Öffentlichkeit dringen, auch wenn Cohen den Rest seines Lebens um sie trauern würde, wie auch Donner nicht aufhörte, um das englische Mädchen jenes Sommers in Bath zu trauern.
    Donner machte damals einen Englischkurs, und Charlotte, genauso jung wie er, war die Kursleiterin. Er war vom ersten Tag an bis über beide Ohren verliebt, und nach zehn Tagen ging sie auf seine Avancen ein. Sie war genauso unbedarft wie er. Seine erste sexuelle Erfahrung, seine erste Liebe, in einer Studentenbude mit Blick auf eine enge Gasse. Sie spazierten am Avon entlang, er kam sich vor wie in einem Gemälde der Präraphaeliten. Sie ruderten auf dem Fluss und lasen sich gegenseitig Gedichte vor – was man eben so tut, wenn man neunzehn ist und verliebt. Charlotte wollte an jenem Tag rudern. Dickes Haar in der Farbe auburn, die Vokabel würde er nie vergessen. Weiße Haut. Grüne Augen. Alles, wofür man als Neunzehnjähriger sterben wollte. Er lag rücklings im Boot und schaute zu ihr auf. Ihre nackten Arme. Ihre Brüste, die sich im Rhythmus der Atmung hoben und senkten. Das Rudern war gar nicht so leicht, aber sie gab nicht auf, die toughe Engländerin Charlotte Humphries. Er deklamierte für sie Shakespeares achtzehntes Sonett. Er murmelte:
    Shall I compare thee to a summer’s day?
    Thou art more lovely and more temperate:
    Rough winds do shake the darling buds of May,
    And summer’s lease hath all too short a date:
    Sometime too hot the eye of heaven shines,
    And often is his gold complexion dimm’d;
    And every fair from fair sometime declines,
    By chance or nature’s changing course untrimm’d;
    But thy eternal summer shall not fade,
    Nor lose possession of that fair thou owest;
    Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
    When in eternal lines to time thou growest:
    So long as men can breathe, or eyes can see,
    So long lives this, and this gives life to thee.
    Ein Motorboot kam vorüber und machte Wellen. Ihr kleines Boot schlug um, ein Ruder schoss aus der Dolle und traf sie am Kopf. Sie ging unter, und er konnte sie nicht finden. Er tauchte und tauchte, anfangs allein, dann mit Dutzenden anderen, bis Froschmänner von der Feuerwehr hinzukamen. Er verbrachte den Abend auf der Polizeiwache. Am liebsten wäre er selbst auch im dunklen Wasser versunken. Er hatte nie mit jemandem darüber geredet. Die Trauer war zu seinem Schatten geworden.
    Die Tür öffnete sich, und van der Ven betrat den Raum. Hinter ihm tauchte der Marokkaner auf, den Donner schon kennengelernt hatte, Kicham Ouaziz, der Mörder. Und hinter diesem trat ein Mann ein, dessen Erscheinung sofort den ganzen Raum füllte. Charisma nannte man so etwas. Donner erkannte gleich dessen Kaliber. Eine Führernatur. Kontrollierte Bewegungen. Gerader Rücken und unerschrockener Blick. Zugleich aber auch unergründlich. Schönes, männliches, ebenmäßiges Gesicht. Augen, die Intelligenz verrieten. Kraft und Explosivität, vermutete Donner, der sich klein und zerbrechlich vorkam gegenüber dem Mann, der gemeinsam mit dem Mörder den Alptraum beenden sollte, in dem sich das Land befand. Interessante Zeiten waren das. Menschen wie diese sollten den Niederlanden nun die Erlösung bringen. Der Kriminelle als Katastrophenhelfer.
    Donner erhob sich und reichte dem Mann die Hand.
    »Herr Kohn? Mein Name ist Donner. Ich bin der Innenminister.«
    Am liebsten hätte er gesagt: Ihr Halbbruder, der Bürgermeister, war gerade noch hier. Sie sind also das Kind, das Jobs Vater 1960 mit seiner jüdischen Geschichtsstudentin Ester Kohn während einer wilden Nacht in Leiden gezeugt hat. Aber er verschwieg, was er wusste.
    »Angenehm«, sagte Kohn.
    »Herr Ouaziz«, sagte Donner, während er dem Marokkaner die Hand gab. »Setzen Sie sich, meine Herren.«
    Er wandte sich an Kohn: »Herr Kohn, welch glücklicher Zufall, dass Sie gerade in der Stadt sind. Was ist der Grund Ihres Besuches, wenn ich fragen darf?«
    Kohn verriet keinerlei Gefühlsregung. »Der Grund ist… Ich möchte Ihnen helfen, die

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