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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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dem Glas.
    Er sah einen Ober mit Speisekarten nahen, signalisierte ihm aber zu warten. Sonja war seinem Blick gefolgt, und als sie beide sahen, dass sich der Ober entfernte, schauten sie sich wieder an, jetzt länger.
    »Hallo«, sagte er.
    »Hallo.« Sie lächelte kurz.
    Er sagte: »Du bist wundervoll.«
    »Und du bist ein Schuft.«
    »Ein glücklicher Schuft.«
    Wieder musste sie lächeln.
    »Was willst du?«, fragte sie, sofort wieder ernst.
    »Komm mit nach oben«, sagte er.
    Er sah, dass sie erschrak – sie wusste, dass es an diesem Mittag so weit kommen musste, aber jetzt war es ausgesprochen und damit zur realen Option geworden, die etwas Unumkehrbares zur Folge haben konnte. Sie hatte sich entsprechend gekleidet, sie hatte sich für ihn zurechtgemacht, sie hatte ihn getestet, war zu spät gekommen, um ihn fallenzulassen, wenn er nicht da gewesen wäre, und jetzt war es gesagt. Sie würde eine Existenz aufs Spiel setzen. Sie würde ihren zukünftigen Mann betrügen und damit den Anfang vom Ende ihres Zusammenseins einleiten.
    Sie sah ihn unverwandt an. Er konnte all das von ihrem Gesicht ablesen. Dann schaute sie zum Barmann hinüber, verfolgte seine Handgriffe. Um Zeit zu gewinnen, wie Kohn wusste. Er nahm ihre Hand. Sie ließ es zu.
    »Warum?«, stieß sie schließlich hervor. »Warum ich? Was willst du?«
    Er sagte: »Du gehörst zu mir. Kommst du mit?«
    Sie schlug die Augen nieder und drückte mit der freien Hand ihre Zigarette aus, sorgsam, bis die Kippe völlig zerquetscht war, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Dann zog sie behutsam die Hand aus der seinen, schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. Er folgte ihr. Achtlos, ohne ihm zu bedeuten, ob sie gehen oder ihn hinaufbegleiten würde, bewegte sie sich auf den Ausgang des Restaurants zu. Im Vorübergehen drückte Kohn dem Oberkellner einen Hunderter in die Hand. In dem engen Rock zeichneten sich die Konturen ihres Hinterns ab. Er drückte auf den Fahrstuhlknopf. Während sie nach oben fuhren, standen sie möglichst weit auseinander, beide mit dem Rücken an der Wand, beide reglos auf die aufleuchtenden Ziffern starrend. Als sie oben angelangt waren und sich die Fahrstuhltüren öffneten, zögerte sie, und er hielt die Türen auf, die sich schon wieder schließen wollten. Dann trat sie doch plötzlich einen Schritt vor und verließ den Fahrstuhl. Ein langer Flur mit dickem Teppichboden. Er beschleunigte seine Schritte, lief um sie herum und öffnete seine Zimmertür, die er mit dem Rücken aufhielt, während sie hineinging. Hinter ihm fiel die schwere Tür ins Schloss. Sie drehte sich zu ihm um, und er trat auf sie zu und umarmte sie. Sie schien einer Ohnmacht nahe, als er sie an sich drückte. Er spürte, dass ihre Beine die Spannung kaum aushielten, und er gab ihr Halt, als sie die Arme um seinen Hals legte und ihn küsste, während seine nervösen Finger ihren Rock hochschoben, unter dem festen Gummi ihrer Strumpfhose in ihren Slip und über ihre Haut glitten, um ihren Hintern zu umfassen.
    So hatte alles angefangen, vor siebzehn Jahren.
    Es war, wie er es sich ausgemalt und für immer und ewig vorgenommen hatte. Fünf Jahre hielt ihre Beziehung, und am Morgen vor dem Fall der Twin Towers war Schluss.
    Am selben Tisch im Amstel Hotel, an dem sie damals gesessen hatten, nahm Kohn ein spätes Mittagessen ein. Er fühlte die Müdigkeit vom Flug und nahm sich vor, gleich nach dem Essen schlafen zu gehen. Er war in den Niederlanden, um Sonja zu suchen und herauszufinden, was sie mit dem Priester gehabt hatte. Der Umschlag, den Father Joseph ihm gegeben hatte, war in seinem Handgepäck. Der Franziskaner Jimmy Davis hatte Kohn sein Herz vermacht, als der Gehirntumor seinen Geist zerstörte. Normalerweise wurden Spender und Empfänger durch den Zufall der Dringlichkeitsliste miteinander verbunden, je nachdem, wann ein geeignetes Herz für den Patienten zur Verfügung stand, der ganz oben auf der Liste stand. Das war die eherne Regel. Aber Jimmy, der Lebensspender, hatte Sonja gekannt. Es schien fast, als hätte er ihn, Max Kohn, den Kriminellen, zum Empfänger seines Herzens auserkoren. War das möglich? Konnte der Priester die Vorschriften umgehen?
    Eines wusste Kohn mit Sicherheit: Er hatte das Herz nicht verdient.

9
    LEON
    Ein einziges Mal, ganz am Anfang, hatte Leon de Winter Max Kohn zur Sprache gebracht, aber Sonja gab ihm sofort zu verstehen, dass dieses Thema tabu war. Auch ihren Vater solle er nicht erwähnen, schärfte sie ihm ein. Harry

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