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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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Kichie hatte schon gegessen. Eine Versammlung? Gab es in einem der Flügel Querelen?
    Ludi sagte: »Wir machen einen Ausflug, Kichie.«
    Er zog Handschellen hervor, und Kichie streckte die Hände aus, damit Ludi sie ihm anlegen konnte.
    »Wo fahren wir hin?«
    »Ich hab keine Ahnung.«
    »Das ist aber ziemlich ungewöhnlich, Ludi.«
    »Ich weiß. Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.«
    »Wieso ungewöhnliche Situation?«
    »Bist du heute nicht im Fernsehraum gewesen?«
    »Nein.«
    »Du weißt also von nichts?«
    »Nein.«
    »Explosion am Amsterdamer Rathaus. Und danach eine Flugzeugentführung.«
    »Ach… Und was hab ich damit zu tun?«
    »Keine Ahnung. Aber damit hängt es zusammen.«
    »Wie denn?«
    »Keine Ahnung, Kichie.«
    »Komm ich wieder hierher zurück? Meine Sachen…?«
    »Ich glaube schon. Aber ich weiß es nicht genau.«
    »Wo fahren wir denn hin?«
    »Nach Schiphol.«
    »Nach Schiphol?«
    »Vielleicht fliegst du ja nach Aruba. Oder nach Thailand oder auf die Malediven. Gott weiß, wohin du fliegen darfst, Kichie. Dann komme ich mit. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass du nachher wieder hierher zurückkommst, ist größer.«
    »Was ist denn heute genau passiert, Ludi? Kannst du mir das sagen?«
    *
    Sie schoben mich durch einen Gang nach dem anderen. Die Fesseln um meine Fußgelenke zwangen mich, ganz kleine Schritte zu machen. Ich hüpfte fast. Ich wusste nicht, was los war, aber das hier wich von allen Abläufen ab, denen ich mich je unterwerfen musste.
    Es musste irgendetwas Außergewöhnliches passiert sein. Hatte Abu Khaled, der Syrer, mit dem ich kommunizieren konnte, heute in die Wege geleitet, was er versprochen hatte? Das hier war nicht normal. Wenn ich im Gebäude bleiben sollte, hätten sie mir niemals Fußfesseln angelegt. Also ging es nach draußen.
    Ich kannte den Grundriss des Gebäudes auswendig. Soundso viele Schritte nach links, nach rechts, soundso viele geradeaus, links, links, geradeaus und so weiter. Zum Seitenausgang. Meine Begleiter sagten kein Wort. Die Korridore rochen nach Desinfektionsmitteln. Hier und da hörte man gedämpfte Fernsehgeräusche. Ich war auf Socken, hatte keine Zeit gehabt, meine Turnschuhe anzuziehen, und meine Bewacher hatten mich nicht darauf hingewiesen, dass das nötig gewesen wäre. Sie wollten mir offenbar zu verstehen geben, dass ich keiner Schuhe wert war. Die Fußböden waren glatt und kalt. Als wir uns dem Ausgang näherten, mussten sie ein bestimmtes Procedere befolgen.
    »Boujeri«, sagte der Mann rechts von mir. Ich erkannte seine Stimme. Das war René, die Ratte. Der ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mich zu piesacken. Er hasse Muslime, zischte er einmal, wohl in der Hoffnung, dass ich ihm dafür an die Gurgel gehen würde. Aber das tat ich nicht. Ich verfluchte ihn innerlich. Ich betete zu Allah, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dass er ihn mit Krankheiten und Leiden heimsuchen möge.
    »Der Bus steht bereit«, sagte jemand anders. Das war die Stimme von Oberwärter Ron. Ein auf sachlich machendes, charakterloses Arschloch. Der Hund hatte sämtliche Anträge von mir abgewiesen. Ich musste prozessieren, bevor ich das Heft und den Stift bekam.
    Ich hörte, wie die elektronischen Schlösser aufsprangen. Die Wärter zogen mich an den Armen, und ich hüpfte mit den Herren mit. Es ging von hier weg. Transport.
    Anschließend kam die zweite Schleuse.
    »Boujeri«, sagte René wieder.
    »Hier abzeichnen«, sagte Arschloch Nummer soundso. Henk. Ein hypernervöser, cholerischer Kettenraucher.
    Ich hörte nur vage Geräusche, aber ich wusste, was jetzt geschah: René trug Zeitpunkt, Namen und Nummer des Häftlings, Zielort des Transports und den verantwortlichen Beamten ein. Wenn man bis hierhin gelangt war, stand immer ein externes Ziel an. Das war kein plötzlich anberaumter Extra-Hofgang.
    Das war ein Gang in die Außenwelt.
    Die elektronischen Schlösser der zweiten Schleuse sprangen auf, die Tür wurde geöffnet, und ich roch und spürte Nouria – sie streichelte mich, sie ließ mich das Parfüm riechen, das sie sich auf die Brüste gesprenkelt hatte.
    Ich hörte entfernte Verkehrsgeräusche. Laute eines abendlichen Waldes. Der glatte Betonfußboden endete an einer Metallschwelle. Dann die Kälte rauher Betonplatten, wie sie vor dem Tor verlegt waren. Die aufsteigende Abendkälte.
    Nach etwa zwanzig Metern sagte René: »Achtung, Treppe. Vier Stufen.«
    Ich tastete mit dem rechten Fuß und fand die erste Stufe. Ich stieg

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