Ein gutes Herz (German Edition)
akbar.«
Kichie dachte: Er ist verrückt. Boujeri kann nicht leben. Er weiß nicht, wie man lebt. Er weiß nicht, wie man mit Glück und Unglück umgeht. Er weiß nicht, wie man sich zu entscheiden und die Früchte zu ernten und sein Wort einzulösen hat. Er hat ein Buch. Das Buch trifft die Entscheidungen für ihn und hat ihn zu dem Mord an diesem komischen van Gogh angetrieben.
»Der Prophet, Sallallahu alaihi wa sallam, ist die lebendige Wahrheit. Van Gogh beleidigte alles, was mir heilig ist. Diese Hexe tat das. Und er half ihr.«
»Ich bin diesem van Gogh ein paarmal begegnet. In Kneipen. Man konnte sich wirklich gut mit ihm amüsieren. Aber er hat den Mund immer ziemlich voll genommen. Nur nicht meinem Kumpel gegenüber. Vor dem hatte er Respekt. Wenn du dir die Ohren zugehalten hättest, könntest du jetzt mit deiner Frau und sechs Kindern draußen durch den Wald spazieren.«
»Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, hat gewollt, dass diese Ungläubigen meinen Weg kreuzen. Ich bin geprüft worden. Ich habe getan, was ich tun musste. Ich habe die Regeln der Scharia befolgt. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Ich tat, was mein Glaube mir aufträgt. Ich hätte meinen Glauben verleugnet, wenn ich es nicht getan hätte. Es ist mir nicht leichtgefallen. Ich wusste, dass ich einen Menschen töten würde. Aber ich konnte nicht anders. Ein gläubiger Muslim muss den töten, der den Propheten, Sallallahu alaihi wa sallam, beleidigt hat.«
Kichie sagte: »Hättest du das nicht dem Propheten selbst überlassen können?«
»Du verstehst das nicht«, sagte Boujeri. »Oder vielleicht doch. Aber du sperrst dich gegen die Botschaft des Propheten, Sallallahu alaihi wa sallam. Ich will schweigen. Ich fühle, dass du kein schlechter Mensch bist, Kicham Ouaziz, aber du bist ein gefährlicher, ungläubiger Unterweltmocro.«
»Du ein religiöser Eiferer, ich ein Unterweltmocro. Jedem das Seine, Junge.«
*
Ich dachte, dass Ouaziz ein Verbündeter sei. Aber das war er nicht. Er war ein Feind.
Ich sagte nichts mehr. Ich rezitierte stumm die Suren, die ich auswendig kannte, ich spürte, wie Nouria liebevoll den Kopf auf meine Schultern legte, und ich roch ihre mit Rosenwasser gewaschenen Haare.
Der Truck fuhr jetzt langsamer und folgte einer Route, die ich mir nicht vorstellen konnte. Waren wir in Schiphol angelangt? Wir hielten an. Der Motor wurde abgestellt. Die Türen wurden geöffnet, und mehrere Männer kamen herein. Niemand sagte ein Wort. Ich wurde losgekettet, Hände fassten mich an den Armen, und ich wurde nach draußen geführt. Ich ertastete die Stufen der Treppe und gelangte auf ebenen Boden hinunter. Sie führten mich mit wenigen Schritten zu einem Stuhl, den ich in den Kniekehlen fühlte, als sie mir klargemacht hatten, dass ich mich umdrehen sollte. Jemand schob den Stuhl heran. Ich ließ mich vorsichtig nieder, fühlte den harten Sitz.
Von der Akustik her hatte ich den Eindruck, dass wir uns in einem großen Raum befanden, einer Halle, vielleicht einem Flugzeughangar. Nach den Schritten zu urteilen, die ich jetzt hörte, näherten sich zwei oder drei Männer, die es sehr eilig hatten. Es trat eine kurze Stille ein. Die Männer – vielleicht waren es auch Frauen, aber das glaubte ich eher nicht – waren stehen geblieben. Sie nahmen mich wohl in Augenschein. Gefesselt, geknechtet. Vermutlich gab jemand René ein Zeichen, dass er mir die Skibrille abnehmen solle, denn sie wurde mir vom Kopf gezogen. Ich hielt die Augen aber noch geschlossen.
»Meine Herren«, sagte eine Männerstimme. »Mein Name ist van der Ven. Ich arbeite für den Innenminister. Ich kann nicht behaupten, dass es mir angenehm ist, Sie hier zu treffen. Die Umstände zwingen mich dazu.«
Ich öffnete vorsichtig die Augen. Viel Licht. Eine große Halle. Reihenweise Neonröhren hoch über uns. Hinter den beiden Männern, die im Abstand von etwa vier Metern vor mir standen, sah ich Türme von Kisten und Kartons. Ich las: Flowers from Holland. Wir waren in Aalsmeer. In den Hallen des Blumengroßmarkts.
Der Mann, der sich als van der Ven vorgestellt hatte, war ein blasser, blonder Niederländer um die vierzig. Schlank, nicht kräftig gebaut, aber seine Haltung strahlte Selbstbewusstsein aus. Sein Blick schoss zwischen mir und Kicham Ouaziz hin und her. Ich schaute zur Seite. Ouaziz saß auch auf einem Stuhl, ohne Handschellen, und musterte van der Ven eingehend. Ouaziz war sehr mager. Ein Stück entfernt, im Halbkreis um uns herum, bewaffnete
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