Ein Hauch von Schnee und Asche
sinken, »versuche ich, in diesen Tagen niemanden zu töten, wenn es nicht sein muss.« Oder bis es sein muss. »Wollt Ihr es leugnen? Denn eine Entschuldigung kann es doch wohl nicht geben.«
Der Butler schüttelte schwach den Kopf. Das Licht glänzte auf seiner Haut, dunkel mit einem rötlichen Unterton, der ihn aussehen ließ, als sei er aus gealtertem Zinnober geschnitzt.
»Ich habe sie geliebt«, sagte er leise und breitete die Hände aus. »Tötet mich nur.« Er trug Reisekleidung, Umhang und Hut, Beutel und Wasserflasche am Gürtel, aber kein Messer. Sklaven, selbst solche, die das Vertrauen ihrer Herren besaßen, wagten es nicht, Waffen zu tragen.
Seine Neugier kämpfte mit seinem Ekel, und wie bei solchen Kämpfen üblich, siegte die Neugier.
»Phaedre sagt, du hast sogar schon mit meiner Tante geschlafen, bevor ihr Mann gestorben ist. Ist das wahr?«
»Ja«, sagte Ulysses mit unergründlicher Miene. »Ich rechtfertige mich nicht dafür. Das kann ich auch gar nicht. Aber ich habe sie geliebt, und wenn ich dafür sterben muss …«
Jamie glaubte dem Mann; seine Aufrichtigkeit war seiner Stimme und seinen Gesten anzumerken. Und da er seine Tante so gut kannte, neigte er weniger dazu, Ulysses Vorwürfe zu machen, als es der Rest der Welt tun würde. Gleichzeitig jedoch blieb er auf der Hut; Ulysses war kräftig und schnell. Und ein Mann, der glaubte, nichts zu verlieren zu haben, war ausgesprochen gefährlich.
»Wohin wolltest du denn?«, fragte er und wies kopfnickend auf die Pferde.
»Virginia«, erwiderte der Schwarze, nach kaum merklichem Zögern. »Lord Dunsmore hat jedem Sklaven, der sich seiner Armee anschließt, die Freiheit versprochen.«
Er hatte die Frage eigentlich gar nicht stellen wollen, obwohl er sie im Kopf hatte, seit er Phaedres Geschichte gehört hatte. Doch nach dieser Einleitung konnte er nicht widerstehen.
»Warum hat sie dich nicht freigelassen?«, fragte er. »Nach Hector Camerons Tod?«
»Das hat sie doch«, lautete die überraschende Antwort. Der Butler fasste sich an die Brust seines Rocks. »Sie hat die nötigen Papiere vor zwanzig Jahren geschrieben – sie hat gesagt, sie könnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich nur zu ihr ins Bett komme, weil ich muss. Aber ein Antrag auf Freilassung muss von der Versammlung genehmigt werden. Und wenn ich offiziell freigelassen worden wäre, hätte ich nicht in ihrem Dienst bleiben können, so wie ich es getan habe.« Das stimmte allerdings, ein freigelassener Sklave war verpflichtet, die Kolonie innerhalb von zehn Tagen zu verlassen, sonst lief er Gefahr, erneut versklavt zu werden, und zwar von jedem, dem es beliebte; bei der Vorstellung, dass große Gruppen freigelassener Neger durch die Landschaft streiften, machten sich Rat und Versammlung vor Angst in die Hosen.
Der Butler blickte einen Moment zu Boden und schirmte die Augen vor dem Licht ab.
»Ich konnte mich für Jo entscheiden – oder die Freiheit. Ich habe mich für sie entschieden.«
»Aye, sehr romantisch«, sagte Jamie extrem trocken – obwohl ihn die Worte des Butlers in Wirklichkeit nicht ungerührt ließen. Jocasta MacKenzie war eine Pflichtehe eingegangen und gleich noch eine – und er war überzeugt, dass sie in keiner ihrer Ehen besonders glücklich gewesen war, bis sie bei Duncan immerhin so etwas wie Zufriedenheit fand. Er war schockiert über die Wahl, die sie getroffen hatte; er missbilligte ihren Ehebruch und war wirklich wütend über ihren Betrug an Duncan, doch ein Teil von ihm – zweifellos der MacKenzie-Teil – konnte sie nur dafür bewundern, wie kühn sie sich das Glück nahm, wo sie es fand.
Er seufzte tief. Der Regen ließ jetzt nach; das Donnern auf dem Dach hatte sich zu leisem Prasseln abgeschwächt.
»Nun denn. Eine Frage habe ich noch.«
Ulysses neigte ernst den Kopf, eine Geste, die Jamie schon tausendmal gesehen hatte. Zu Euren Diensten, Sir , sagte sie – und darin lag mehr Ironie als in jedem Wort, das der Mann bis jetzt gesagt hatte.
»Wo ist das Gold?«
Ulysses’ Kopf fuhr auf, seine Augen waren vor Verblüffung weit aufgerissen. Zum ersten Mal empfand Jamie einen Hauch von Zweifel.
»Ihr glaubt, ich habe es gestohlen?«, sagte der Butler ungläubig. Doch dann verzog sich sein Mund. »Natürlich glaubt Ihr das.« Er rieb sich die Nase und sah besorgt und unglücklich aus – mit gutem Grund, dachte Jamie.
Sie standen eine Weile da und betrachteten einander schweigend – eine Sackgasse. Jamie hatte nicht das Gefühl,
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