Ein Herzschlag bis zum Tod
sagen, dass wir kommen.«
»Baker?«
|79| »Meine Freundin, die sich um Paul kümmert.«
Er überlegte und nickte. Dann zog er sein Handy aus der Halterung. »Nehmen Sie dieses.«
Auch gut. Dann wüsste er zwar ihre Nummer, aber da wir zu Baker fuhren, war es ohnehin egal.
»Ich bin es, Bake. Wie geht es Paul?«
»Prima. Die Jungs sind aus der Schule gekommen und bringen ihm unanständige Ausdrücke bei. Hast du mit seinem Vater gesprochen?«
»Ja. Ich sitze bei ihm im Auto. Wir haben schon die Grenze überquert.«
Stille. »Ihr kommt also her. Du hast entschieden, dass er nicht der Böse ist.«
»Zweimal ja. Mehr oder weniger.«
»Muss ich damit rechnen, dass hier gleich diverse Streifenwagen auftauchen?«
»Nein, im Augenblick möchte er nur Paul sehen. Ich wollte dir jedenfalls Bescheid sagen. Wir sind in etwa einer Stunde da.« Eins konnte ich jedoch nicht sagen:
Falls ich mich geirrt habe und dieser Mann ein irrer Mörder ist, solltest du die Kinder in Sicherheit bringen und Mike an deiner Seite haben.
Aber Baker war clever und besaß einen starken Mutterinstinkt. Vermutlich würde sie die Jungen zu Holly schicken. Und Mike war in den Adirondacks geboren – er besaß mehrere Gewehre und wusste als Jäger, wie man sie benutzt.
Dumond schaute zu, als ich das Handy vorsichtig wieder in die Halterung steckte. »Wer ist diese Baker?«
»Eine gute Freundin von mir aus Saranac Lake. Sie hat auch Kinder, und Paul versteht sich gut mit ihnen. Er ist bei ihr bestens aufgehoben.« Jetzt schwatzte ich schon wieder los.
»War Paul die ganze Zeit bei ihr?«
»Nein, bei mir. Ich habe ihn nur heute bei Baker gelassen.«
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Nur an Kreuzungen wies ich ihm den Weg. Als wir in die Einfahrt einbogen, sah |80| ich seine Anspannung und konnte meinen eigenen Herzschlag hören.
Wir stiegen aus, Dumond an meiner Seite, wobei er meinen Arm fest umfasste. Baker kam uns entgegen. Ihre Körperhaltung verriet mir, dass etwas nicht stimmte. Sie schaute von Dumond zu mir.
»Er ist weg, Troy.« Es war, als hätte man mir in den Magen geboxt. Ein barscher Ausruf, eine abrupte Bewegung neben mir. Ich beachtete ihn nicht.
»Wie meinst du das?« Ich brachte die Frage kaum heraus.
Oh Gott, oh Gott, oh Gott
, flehte eine leise Stimme in meinem Kopf.
Bitte mach, dass er beim Kinderschutz ist oder im Krankenhaus. Bitte bitte bitte …
Sie zeigte zur Tür, wo Mike wartete. Mit der Jeans und dem karierten Hemd sah er aus wie ein kräftiger Holzfäller. Seine Söhne standen vor ihm, und er hatte den beiden Jüngsten die Hände auf die Schultern gelegt. »Sie haben draußen Sardinen gespielt, aber dann konnten sie Paul nicht mehr finden und haben mir Bescheid gesagt.«
Sardinen war ein Versteckspiel: Wenn man das erste Kind gefunden hatte, quetschte man sich zu ihm ins Versteck, bis die ganze Gruppe sich dort zusammendrängte und nur noch ein Kind suchen musste.
Dumond schoss herum und sprudelte so wütend auf Französisch los, dass ich ihn zum Glück kaum verstand. Mittendrin wechselte er zu Englisch, genauso schnell und zornig: »Was ist das für ein Spiel? Sie locken mich hierher und tun so, als hätten Sie meinen Sohn! Wie können Sie es wagen …«
Ich riss mich los und schaute ihn an. »Hören Sie, Sie müssen uns glauben. Paul war hier; er ist Ihr Sohn, es kann nicht anders sein. Wie viele Paul Dumonds wurden wohl in Montreal gekidnappt? Warum sollten wir uns so etwas ausdenken?« Er starrte mich wütend an, und mir fiel etwas ein, das ich in meinen Beutel gesteckt hatte. Ich holte den Zettel heraus, auf den |81| Paul seinen Namen und die seiner Eltern geschrieben hatte, und hielt ihn ihm hin. »Sehen Sie. Er hat nicht gelogen, und ich lüge auch nicht.«
Ich schrie fast. Seine Augen und seine Körperhaltung verrieten, dass er mir kein Wort glaubte. Baker hatte etwas geholt und drückte es mir schweigend in die Hand. Eine kleine Digitalkamera. »Sie gehört Mike junior. Er hat heute fotografiert.«
Ich schaltete die Kamera ein und schaute auf den Bildschirm. Rick, Bakers mittlerer Sohn, grinste breit in die Kamera, und Paul stand neben ihm. Ich zeigte Dumond das Foto.
Er schaute es lange an. Dann blickte er zu Rick, der dasselbe Hemd wie auf dem Foto trug. Und nun endlich sah ich in seinem Gesicht, wonach ich so lange gesucht hatte, um meine Zweifel auszuräumen. Eine so nackte, unverhüllte Qual, dass es mir einen Stich versetzte.
»Ja«, sagt er, »das ist mein Sohn.«
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