Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
rufen. Du hast schon genug Vieh durch den Futtermangel verloren – wie wir alle.«
»Und du hast Ross Coopers Nachfolgerin noch nicht kennen gelernt. Sie ist unverschämt jung, eine Stadtpflanze wie aus dem Bilderbuch und schrecklich eingebildet. Außerdem ist sie mager wie ein Waisenkind – ein kräftiger Tritt, und sie segelt über die Koppel wie ’ne Staubwolke, die der Windaufwirbelt.« Er starrte finster vor sich hin. »Eins ist sicher. Sie wäre niemals kräftig genug, einer meiner Kühe zu helfen, wenn’s beim Kalben Schwierigkeiten gibt.«
»Ich hab von Bert alles über sie erfahren. Aber selbst wenn sie frisch von der Universität kommt, muss das kein Nachteil sein. Immerhin weiß sie dann wahrscheinlich alles über die neuesten Impfungen und Krankheiten ...«
»Unsinn. Was kann jemand aus London schon über australische Rinder wissen?«
»Hast du vergessen, dass Ross ebenfalls aus London kam?«
Teddy hatte es tatsächlich vergessen. Ross war so lange im Outback gewesen, dass er den Leuten australischer erschienen war als die Aborigines. »Das mag ja sein, aber es ist lange her, und Erfahrung kann man durch nichts ersetzen; diese Miss oder Mrs. Lawford hat keine. Nein, um die Sache kümmere ich mich lieber selbst. Die Lady war noch keine fünf Minuten in der Stadt, da hat sie Dan Dugan schon ›unverantwortlich‹ genannt.«
»Ja, ich hab davon gehört.«
»Solche Leute wie sie brauchen wir hier nicht. Je eher sie dahin zurückgeht, woher sie gekommen ist, desto besser!«
»Vielleicht, Teddy. Aber wenn das hier so weitergeht, musst du Hilfe bekommen.«
Estella beschloss, Ross’ Akten zu lesen, bevor sie Marty wegen Stargazer ansprach. Sie hatte die Papiere kurz durchgesehen, als sie den Behandlungsraum und das kleine Büro gereinigt hatte, und dabei festgestellt, dass ihr Vater, was seine Aufzeichnungen betraf, genauso ordentlich gewesen war wie bei seiner übrigen Arbeit. Als Estella die Akten zu lesen begann, stellte sie fest, dass Ross auch kurze Anekdoten über die Besitzer seiner tierischen Patienten hinzugefügt hatte. Bei einigen seiner Kommentare musste sie schmunzeln: Offensichtlich war er manchmal der Meinung gewesen, die Besitzer hätten eher Hilfe nötig als die Tiere. Doch Stargazers Geschichte klang sehr viel ernster.
In der Akte waren als Erstes einige harmlose Verletzungen und Hautprobleme aufgeführt, die Stargazer sich im Lauf der Jahre zugezogen hatte. Estella freute sich zu sehen, dass Marty Edwards sehr besorgt um die Gesundheit seines Pferdes gewesen zu sein schien. Ross’ Aufzeichnungen nach zu urteilen war er sogar fast übermäßig penibel gewesen. Deshalb verstand Estella umso weniger, weshalb diese Fürsorglichkeit nach Stargazers letzter Verletzung plötzlich verschwunden war. Sie las weiter und stellte fest, dass man das Pferd überhaupt nicht mehr behandelt hatte. Ross hatte Marty geraten, Stargazer nach Alice Springs zu bringen und ihn röntgen zu lassen, doch Marty hatte weder das Geld für die Fahrt noch für die Behandlung gehabt. Ross hatte Marty angeboten, ihm auszuhelfen, doch Marty hatte dieses Angebot beharrlich abgelehnt. Das konnte nur bedeuten, dass die Kosten nicht der Hauptgrund für seine Weigerung waren. Das eigentliche Problem musste tiefere Ursachen haben. Während sie die Aufzeichnungen las, vermeinte Estella, Ross’ Enttäuschung und Hilflosigkeit förmlich zu spüren. Er hatte eine Muskelverletzung diagnostiziert und geschrieben, dass er zum Zeitpunkt der Verletzung zugegen gewesen sei. Seiner Meinung nach war es nicht mehr als eine Muskel- oder Sehnenzerrung gewesen, doch das linke Vorderbein und die Hüfte des Pferdes waren seitdem stark geschädigt, und das hatte ihn sehr erstaunt.
Estella war erleichtert, dass Stargazers Problem wahrscheinlich mit der Muskulatur zu tun hatte, denn solche Verletzungen konnte sie behandeln. Auf der anderen Seite beunruhigte es sie, dass das Pferd sich offensichtlich weder berühren ließ noch zu irgendeiner Mitarbeit bereit war. Stargazer litt entweder unter starken Schmerzen oder an einem psychischen Trauma, das viel schwieriger zu heilen sein würde.
Estella machte sich auf den Weg und betrat den Gemischtwarenladen, bewaffnet mit einer Liste all jener Dinge, die sie zur Renovierung des Hauses benötigte. Sie hoffte inständig,mit Marty Edwards zu einer Einigung zu kommen, da sie sich sehr ungern verschuldete. Vor allem aber hatte sie der Ehrgeiz gepackt, Stargazer zu helfen. Sie betrachtete die
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