Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
zu neugierig, was die Tierärztin aus England von ihrem Vater wollte.
»Ich habe wieder meine Bleistifte verloren«, rief das junge Mädchen, das ungefähr vierzehn Jahre alt und schlaksig, aber recht hübsch war.
»Du kommst schon wieder zu spät zur Arbeit, Cassie«, rief Phyllis ungehalten.
»Tut mir Leid«, gab das Mädchen zurück, doch ihr Schulterzucken verriet, dass Pünktlichkeit ihr nicht wichtig war. Als sie Estella sah, starrte sie diese mit unverhohlener Neugier an.
»Diese Lady ist unsere neue Tierärztin, Cassie«, erklärte Phyllis, die ein wenig verlegen wegen Cassies Verhalten schien.
»Hallo, Cassie. Ich bin Estella Lawford. Freut mich, dich kennen zu lernen.«
»Guten Tag, Missus«, gab Cassie lächelnd zurück.
»Nun geht schon, ihr zwei«, forderte Marty seine Tochter und Cassie auf.
Zögernd verschwand Phyllis mit dem Aborigine-Mädchen in einem der hinteren Räume. Estella fiel wieder ein, was Kylie ihr erzählt hatte: Phyllis hatte einigen Aborigine-Mädchen das Lesen und Schreiben beigebracht. Sofort stieg die junge Frau in Estellas Achtung: Phyllis musste sehr engagiert sein, besonders, wenn die Schülerinnen kamen und gingen, wie es ihnen gefiel. An der Wand hinter dem Tresen entdeckte Estella zwischen Dutzenden von Werbeplakaten drei Fotos von Pferden, jedes mit einer Jahreszahl darunter. Die Bilder stammten aus drei aufeinander folgenden Jahren, und Estella dachte daran, was Charlie ihr gesagt hatte: Es musste sich um die Picknick-Rennen von Kangaroo Crossing handeln, auf jedem Foto ging Stargazer als Erster durchs Ziel. Er war ein wunderschönes Tier – gut einsachtzig groß, schätzte Estella, und kräftig, mit glänzendem, hellbraunem Fell und einer weißen Blesse auf der Stirn.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Marty in dem offensichtlichen Versuch, ihre Aufmerksamkeit von den Fotos abzulenken.
»Ich brauche Farbe, Holz und dergleichen«, erwiderte Estella. »Ich werde in Ross Coopers Haus wohnen, und dort stehen dringende Reparaturen an.«
»Ich verstehe. Hört sich ganz so an, als hätten Sie wirklich vor, in Kangaroo Crossing zu bleiben, wenn Sie Ross’ Haus und seine Praxis in Beschlag nehmen«, entgegnete Marty, dessen Ton leise Missbilligung verriet. Dass sie Ross’ Platz als Tierarzt einnahm, schien ihn nicht zu stören, doch Ross’ Haus in Besitz zu nehmen, überschritt in Martys Augen offensichtlich die Grenzen des guten Geschmacks.
»Der Behandlungsraum ist vollständig eingerichtet, da bietet es sich doch an, nicht wahr?«, meinte Estella in der Hoffnung, ihn zu überzeugen. »Ich bin sicher, Ross hätte nichts dagegen.«
Marty starrte sie einen Augenblick lang schweigend an, bevor er seine Aufmerksamkeit der Liste zuwandte. »Sie haben die Maße für die Holzpfeiler nicht aufgeschrieben. Aber das meiste von dem, was Sie brauchen, habe ich vorrätig.« Er hob den Blick von der Liste und sah Estella an. »Was ich nicht hier habe, kann ich Ihnen bestellen. Es wird allerdings eine oder zwei Wochen dauern, bis die Ware kommt.«
»Danke. Wissen Sie, ich ...« Estella fühlte wieder Nervosität in sich aufsteigen. »Ich hatte gehofft, wir könnten eine Vereinbarung treffen ...«
»Ich verstehe schon. Wenn Sie in Kangaroo Crossing bleiben, kann ich das, was Sie kaufen, gern für Sie anschreiben«, sagte Marty. »Ich wäre allerdings dankbar, wenn Sie jeden Monat wenigstens einen kleinen Betrag bezahlen. Das würde es mir leichter machen, den Betrieb aufrechtzuerhalten.«
»Das war nicht ganz das, woran ich dachte ...«
»Ach ja? Dann sollten Sie mir vielleicht sagen, woran Sie dachten.«
Estella tat einen tiefen Atemzug. Marty war nicht gerade der warmherzigste Mensch, dem sie je begegnet war, und sein geschäftsmäßiger Tonfall machte sie nervös. »Ich habe gehört ... also ... jemand hat mir erzählt, dass Sie ein Pferd besitzen, das schon lange verletzt ist ... ein Rennpferd.« Sie blickte wieder auf die Fotos.
»Da haben Sie falsch gehört«, erwiderte Marty kühl.
Estella starrte ihn erschrocken an. »Dann haben Sie Stargazer einschläfern lassen?«
»Nein!« Marty wurde blass und blickte auf seine Bücher hinunter. »Ich spreche mit Fremden nicht über mein Pferd. Wenn es Ihnen nichts ausmacht ...«
»Ich habe Stargazers Akte gelesen, und ich glaube, ich kann ihm helfen!«
Marty sah wieder auf, doch im Blick seiner blauen Augen stand eisige Ablehnung. »Sie haben ihn ja nicht einmal gesehen.«
»Ich weiß. Aber es hat in letzter Zeit
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