Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
einzelner Baum, unter dem sich der Stall befand. Als Estella an dem hölzernen Zaun entlang zum Stall ging, sah sie, dass am unteren Ende der Koppel kein Pferdedung lag, dafür aber umso mehr unter dem riesigen Eukalyptusbaum, der den Stall beschattete. Das bedeutete, dass Stargazer sich nur im oberen Teil des Geländes aufhielt. Estella schloss daraus, dass das Gehen auf unebenem Grund ihm Schmerzen verursachte.
Als sie auf gleicher Höhe mit dem Eingang zum Stall war, sah sie Stargazer und erschrak bei seinem Anblick. Sie musste an die Bilder im Laden denken. Es war kaum zu glauben, dass das Pferd auf den Fotos und dieses Tier ein und dasselbe sein sollten. Wäre die Blesse nicht gewesen, die die Form einesDiamanten besaß, hätte Estella es nicht für möglich gehalten. Stargazers Fell war so stumpf und staubig, dass man die ursprüngliche braune Farbe nicht mehr erkannte. Er stand mit hängendem Kopf da. Hunderte Fliegen schwirrten um seine Nüstern, die Augen und die Ohren, die schon ganz zerbissen waren. Mähne und Schwanz waren verfilzt, die Hufe rissig. Er bot einen Mitleid erregenden Anblick, der Estella zornig machte. In ihren Augen war es ein Verbrechen, ein Tier so zu vernachlässigen.
Sie betrachtete den Hengst, und Tränen strömten ihr über die Wangen. Apathisch erwiderte Stargazer ihren Blick. Schließlich wischte sie sich energisch die Tränen ab, weil sie fürchtete, dass das Tier ihre Trauer spürte. »Du hast aufgegeben, nicht wahr?«, sagte sie leise, die Stimme rau vor Erschütterung. »Du siehst keine Zukunft mehr für dich.« Sie schlüpfte zwischen den Zaunlatten hindurch – und prompt legte Stargazer die Ohren an. Estella dachte an ihr Kind, doch sie musste versuchen, dieser geschundenen Kreatur zu helfen. »Du glaubst es jetzt bestimmt noch nicht, doch es kann sein, dass du eines Tages wieder Rennen läufst. Aber damit das möglich wird, musst du mit mir zusammenarbeiten und mir helfen.«
Estella ahnte nicht, dass ein sehr zorniger Marty Edwards sie von der Hintertür des Ladens aus beobachtete. »Dann muss sie eben auf die schmerzliche Art erfahren, dass Stargazer keine Gesellschaft will«, murmelte Marty. Während Estella mit dem Pferd sprach, machte sie mehrere kleine Schritte auf Stargazer zu, um dann auf halbem Weg zwischen Zaun und Stall stehen zu bleiben.
»Du lieber Himmel, was tut diese Verrückte?« Marty eilte den Hügel hinauf.
»Komm schon, Stargazer«, sagte Estella. Das Pferd schnaubte, und sie zuckte zusammen. Der Hengst hielt die Ohren weiterhin angelegt, doch Estella war sicher, dass er mehr Angst hatte als sie selbst. Sie erinnerte sich ihrer Kindheit, die sie mitihrer Mutter und Marcus Woodsworth verbracht hatte. Marcus war vor dem Krieg ein bekannter Züchter von Vollblütern gewesen, und Estella hatte fast jede freie Minute in den Ställen verbracht. Marcus hatte ihr beigebracht, die Körpersprache der Pferde zu deuten; deshalb war sie jetzt ziemlich sicher, dass Stargazer sie nicht angreifen würde. »Komm, Junge«, sagte sie leise und beruhigend und betete insgeheim, dass ihr Instinkt sie nicht trog.
Estella streckte die Hand aus. Sie ahnte nicht, dass Marty Edwards jetzt hinter ihr am Zaun stand. Er war sicher, dass Estella den Verstand verloren hatte, doch die Szene faszinierte ihn wider Willen. Normalerweise duldete Stargazer niemanden außer ihm, Marty, auf seiner Koppel – und selbst Marty durfte ihm nicht zu nahe kommen.
Stargazer machte einen zögernden Schritt auf sie zu, und Estella brach es fast das Herz. Er schien unsicher und schrecklich mutlos – so wie sie selbst. Am liebsten hätte sie ihm die Arme um den Hals geschlungen und ihm versichert, dass das Schlimmste vorüber sei. Stattdessen ging sie noch einen kleinen Schritt auf ihn zu. »Na komm, Stargazer«, sagte sie. »Du schaffst es.« Der Hengst musste zeigen, dass er ihr vertraute.
Marty wusste nicht, was Estella erreichen wollte, doch es fesselte ihn, was zwischen ihr und dem Pferd vor sich ging.
Estella wartete geduldig, während der Hengst unschlüssig die Ohren anlegte und wieder aufstellte.
Dein weiteres Leben hängt von dieser Entscheidung ab, dachte Estella. Komm zu mir!
Schließlich machte Stargazer zwei Schritte und streckte den Kopf vor, um an ihrer Hand zu schnuppern.
Obwohl seine Bewegungen mitleiderregend schwerfällig waren, betrachtete Estella sie als ersten Schritt in die richtige Richtung. »Gut, mein Junge. Wir werden es schon schaffen!« Wieder liefen ihr Tränen
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