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Ein Hologramm für den König

Ein Hologramm für den König

Titel: Ein Hologramm für den König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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sagte Sajed, als die Schwinns in Chicago hergestellt wurden, die Raleighs in England, die italienischen Räder, die französischen … Eine Zeit lang gab es eine echte internationale Konkurrenz, die einem eine Auswahl bot zwischen ganz unterschiedlichen Produkten mit ganz unterschiedlichen Traditionen, Eigenarten, Fertigungstechniken …
    Alan erinnerte sich. Das waren glänzende Zeiten gewesen. Morgens hatte er vor der Fabrik an der West Side zugesehen, wie die Räder zu Hunderten auf Lkw verladen wurden, in zig Eiscremefarben in der Sonne schimmernd. Dann stieg er in seinen Wagen, fuhr in südlicher Richtung und konnte dann am Nachmittag in Mattoon oder Rantoul oder Alton bei einem Händler nach dem Rechten schauen. Manchmal sah er eine Familie hereinkommen, Mom und Dad, die für ihre zehnjährige Tochter ein World Sport kaufen wollten, und das Mädchen berührte das Rad, als wäre es etwas Heiliges. Alan wusste ebenso wie der Händler und die Familie, dass das Rad ein paar Hundert Meilen nördlich per Hand gebaut worden war, von einem unglaublichen Aufgebot an Arbeitern, die meisten von ihnen Migranten – Deutsche, Italiener, Schweden, Iren, jede Menge Japaner und natürlich eine ganze Reihe Polen –, und dass das Rad praktisch ewig halten würde. Warum spielte das eine Rolle? Warum spielte es eine Rolle, dass die Räder nur ein Stück den Highway 57 hoch hergestellt worden waren? Schwer zu sagen. Aber Alan war gut in seinem Job. Kein besonders schwieriger Job, so etwas zu verkaufen, etwas Solides, das Teil von unzähligen Kindheitserinnerungen werden würde.
    – Tja, das ist vorbei, sagte Alan und hoffte, mit dem Thema fertig zu sein.
    Sajed war nicht fertig.
    – Jetzt werden bloß verschiedene Aufkleber auf dieselben Räder geklebt. Und alle werden in einer Handvoll Fabriken gefertigt – jede erdenkliche Marke.
    Alan hatte nicht viel dazu zu sagen. Er stimmte Sajed zu. Er wollte die Führung fortsetzen, aber der Wirtschaftswissenschaftsstudent in Sajed steckte tief in seiner Fallstudie.
    – Haben Sie schon mal das Gefühl, Sie hätten es anders machen sollen?
    – Ich? Persönlich?
    – Na ja, in welcher Funktion auch immer, die Sie dabei hatten. Hätte es anders laufen können? Hätte Schwinn irgendwie überleben können?
    Hätte. Hätte . Alan gellte das Wort in den Ohren. Er würde dem Mann eine reinhauen, wenn er das Wort noch einmal in den Mund nahm.
    Sajed wartete auf eine Antwort.
    – Es war kompliziert, murmelte Alan.
    Alan hatte das hier schon öfters erlebt. Schwinn löste bei den Leuten nostalgische Gefühle aus. Und sie vermuteten, dass ein Haufen Vollidioten, die die Marke vertrieben, Vollidioten wie er, das alles irgendwie in den Sand gesetzt hatten. Wie konnte ein Unternehmen wie Schwinn, das rund achtzig Jahre lang Marktführer in den USA gewesen war, bankrottgehen und praktisch für ein Butterbrot an Trek verkauft werden? Wie war das möglich? Tja, wie war das nicht möglich? Die Männer hinter Schwinn hatten versucht, weiterhin Fahrräder in den USA herzustellen. Nach Ansicht mancher war das Fehler Nummer 1 gewesen. Sie hielten bis 1983 an Chicago fest. Alan hätte diesen Wirtschaftswissenschaftler am liebsten geschüttelt. Wissen Sie eigentlich, wie schwer es war, so lange durchzuhalten? An der West Side von Chicago, in einer hundert Jahre alten Fabrik Fahrräder bauen zu wollen, hoch komplizierte und arbeitsaufwendige Geräte, und das bis 1983?
    – Alan?
    Alan blickte auf. Es war Yousef.
    – Die Führung geht weiter. Wollen Sie mitkommen? Möchten Sie mitkommen?
    Sajed stand am Ende der Halle.
    – Gehen wir nach oben, sagte er.
    Zwei Treppen, und sie befanden sich über der entstehenden Stadt. Der Beobachtungsraum ermöglichte einen Rundumblick, und Alan schritt an den Fenstern entlang. Die Stadt war im Rohzustand, ja, aber von diesem Aussichtspunkt aus betrachtet war sie wunderschön. Jetzt ergab alles einen Sinn. Das Rote Meer war türkis, ein sanfter Wind kräuselte die heranrollenden Wellen. Der Sand war fast weiß, sehr fein. Eine geflieste Promenade schlängelte sich in die Ferne, trennte das Ufer von dem rosa Apartmenthaus und, wie Alan jetzt erkennen konnte, den Fundamenten für mindestens ein paar weitere. Überall waren Palmen gepflanzt worden. Sie säumten den nächstgelegenen Kanal, himmelblau und sauber, der mit Wasser vom Meer gespeist wurde und in östlicher Richtung die Stadt durchschnitt. Was von der Straße in die Stadt aus wie ein totaler Reinfall angemutet hatte,

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