Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Brauereigaststätte auszuführen, die durch
ihre hohen alten Stuckdecken, die wurmstichigen Holztische und einige stark
nachgedunkelte Ölgemälde eine besondere Atmosphäre ausstrahlte.
Josue hatte versprochen, ein wenig später, wenn er die
Kinder ins Bett gebracht hatte, nachzukommen. Sie freute sich, dass er es doch
noch möglich gemacht hatte und fühlte sich ernst genommen. Sie merkte, dass es ihr
gar nicht egal war, was er von ihren Eltern und ihre Eltern von ihm hielten.
Langsam gingen sie durch die Gassen der Altstadt. Sobald man
von den Hauptadern der Stadt abzweigte, hielt sich die Touristendichte in
Grenzen, das empfand Emily als sehr angenehm. Auf der einen Seite hatte sich
ihre Mutter bei ihrem Vater eingehängt, der
Wanderstock mit seiner Metallspitze tickte in regelmäßigem Rhythmus auf das
Kopfsteinpflaster. Emily fragte nach der Neckartour, bekam aber nur einsilbige
Antworten. Doch die Entwicklung zwischen ihren Eltern schien durchweg positiv
zu verlaufen, denn beide wirkten einander zugewandt und auf eine stille Art in
sich ruhend. Emily konnte es immer noch nicht fassen, wie sich durch eine
mutige Aktion das Blatt so wenden konnte.
Bei der Brauerei
angekommen nahmen sie ihre Plätze am für sie reservierten Tisch ein, die
anderen Tische um sie herum füllten sich ebenfalls. Emily lehnte sich zurück
und genoss das Summen der Gespräche um sie herum, bei dem sie sich geborgen
fühlte wie in einem Bienenstock. Alle drei vertieften sich in die Speisekarte.
„Schatz, wir waren lange nicht mehr auswärts essen, nicht
wahr?“, eröffnete ihre Mutter das Gespräch. Mit gespielter Entrüstung
erwiderte ihr Vater: „Habe ich dich etwas nicht gut bekocht?“
„Aber natürlich. Dein Hähnchen mit Erbsen und Möhrchen mag
ich besonders gern.“ Sie zwinkerte ihm zu und streichelte seinen Bart.
„Und mein Hochzeitsnudelauflauf ist auch legendär.“
„Ja, der reicht uns dann immer für eine Woche.“
Aha, dachte Emily, jetzt arbeiten sie die gemeinsamen
letzten Monate auf und schreiben ein wenig ihre Erinnerungen um. Von ihren
Eltern konnte sie tatsächlich noch etwas lernen. Nachdem alle drei gewählt
hatten und ihre Eltern vereinbarten, dass sie halbe-halbe machen würden, sahen
sie sich erwartungsvoll um. Ihre Mutter sprach es schließlich aus: „Ich kann es
kaum erwarten, deinen neuen Freund kennenzulernen. Du hast noch gar nichts
darüber gesagt, wie er aussieht.“
„Toll sieht er aus. Er ist vermutlich der bestaussehendste
Mann von Heidelberg“, schwärmte Emily mit stolzgeschwellter Brust.
Ihr Vater musterte sie neugierig. „Ich wusste gar nicht,
dass dir Aussehen so wichtig ist. Klaus beispielsweise war sympathisch, aber
man konnte ihn wohl nicht gerade als gutaussehend bezeichnen.“
„Natürlich zählen für mich auch andere Werte. Aber ich
genieße es doch, ihn immer wieder gerne anzuschauen. Lästig ist allerdings,
dass er überall Aufmerksamkeit erregt, wo wir hinkommen.“
Jetzt schaltete sich ihre Mutter ein: „Eigentlich möchte doch
die Frau diese Aufmerksamkeit abbekommen, oder nicht?“ Da hatte sie ja jetzt
ihren Finger auf eine Wunde gelegt.
Emily antwortete schnippisch: „Keine Sorge, Mutter, so ein
hässliches Entlein bin ich nun auch nicht.“
„Das wollte ich damit doch gar nicht sagen, das weißt du
auch, Emily.“ Emily nickte, dennoch schmerzte es sie ab und zu, dass sie
einfach nicht das attraktive Pendant zu Josue war. Sie dachte schnell an Anna
und Harry, wie selbstverständlich sie mit ihren Unterschiedlichkeiten umgingen.
Harry schien alles mit seinem fröhlichen Selbstbewusstsein wettzumachen und
hatte Anna damit voll überzeugt.
Da legten sich zwei Hände von hinten auf ihre Schultern und
Josue beugte sich über sie, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Seine
Lockenmähne kitzelte sie im Gesicht. Dann ging er um den Tisch herum, reichte
ihrem Vater die Hand, der aufgestanden war. Sie konnte sehen, wie sich die
beiden Männer musterten und sich ihr Vater reckte, um etwas größer zu wirken.
Ihre Mutter wollte auch aufstehen, doch er schob sie sanft auf ihren Stuhl
zurück.
„Bitte bleiben Sie sitzen. Und entschuldigen Sie meine
Verspätung, aber die Gutenachtgeschichte konnte ich einfach nicht ausfallen
lassen.“
Emily beobachtete amüsiert, wie ihre Mutter förmlich
dahinschmolz und mit einem koketten Augenaufschlag erwiderte: „Wir freuen uns,
dass Sie sich überhaupt Zeit für uns nehmen konnten.“
Josue zog sein Jackett aus und
Weitere Kostenlose Bücher