Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
„Ich denke nicht“, sagte sie mit schiefem Grinsen.
„Vermutlich hat mich dieses ungeliebte gepolsterte Ding gerettet. Ich war immer
so stolz auf meine schmalen Hüften und jetzt das!“
„Mach bitte langsam. Es ist auch nicht schlimm, wenn Papa
ein wenig warten muss.“
„Du weißt doch, er wartet gar nicht gerne.“
Emily schaute sie streng an. „Wenn du dir jetzt wieder
ständig Gedanken machst, was er vor dir erwartet, dann geht euer Spielchen
gerade von vorne los. Willst du das?“
Ihre Mutter schüttelte einsichtig den Kopf und Emily wurde
plötzlich klar, dass sie sich diese Predigt genauso gut selbst halten konnte.
Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Jetzt musste sie erst einmal ihre
Mutter heil zur Pension bringen. Sie packte die kleine Reisetasche ihrer Mutter
und begleitete sie langsam die Treppe hinunter. Sie kamen wirklich nur im
Schneckentempo vorwärts und ihre Mutter hing schwerer als so manche
Achtzigjährige aus dem Heim an ihrem Arm. Emily war froh über ihre
Arbeitserfahrung dort, die sie jetzt nicht ungeduldig werden ließ. Bei der
Heiliggeistkirche angekommen, war ihre Mutter schon ganz erledigt. Emily
bugsierte sie kurzerhand auf einen Stuhl bei einem der vielen Cafés auf dem
Rathausplatz und sagte: „Ich bin gleich wieder da.“
Ihre Mutter wirkte ganz verloren, wie sie so dasaß. Emily
sprintete zu einem der Touristenläden, die sich in den Bögen der Kirche
niedergelassen hatte. Sie erinnerte sich, dass dort Schwarzwälder Wanderstöcke
verkauft wurden. Sie erstand einen für den unglaublichen Preis von sechzehn
Euro und präsentierte ihn stolz ihrer Mutter. „Schau, damit wird es besser
gehen. Weiß du, so ein Stock ist wie ein drittes Bein, du hast ein Drittel mehr
Kraft und bist ein Drittel schneller.“
„Aber wie sieht das denn aus?“, jammerte ihre Mutter.
„Wie ein Wanderstock eben, jetzt probier ihn halt einfach
aus.“
Und siehe da, mit Emilys Unterstützung auf der einen Seite
und dem Stock auf der anderen erreichen sie eine Weile später tatsächlich die
Pension. Emilys Vater wartete schon ganz aufgeregt vor der Tür. Er nahm Emily
übereifrig die Reisetasche ab. Dann sah er seine Frau lange an und gab ihr
einen richtigen Kuss auf die Lippen, so dass Emily ein kleiner Schauer über den
Rücken lief. Emilys Mutter war nun rosa angehaucht, das stand ihr gut, dachte
Emily. Dann umarmte ihr Vater auch Emily. Emily wusste nicht, wie ihr geschah.
Er flüsterte ihr ins Ohr: „Danke, dass du dich so gut um sie gekümmert hast.“
„Keine Ursache“, murmelte Emily und kam sich gleichzeitig
wie das dritte Rad am Wagen vor. „Ich schlage vor, ich hole euch gegen acht Uhr
ab, so lange könnt ihr euch noch frisch machen und ein wenig erholen,
einverstanden?“
Die Hauswirtin war in der Tür erschienen. Sie sah Emily
prüfend an. „So gefallen Sie mir schon besser, Mädchen.“
Da Emily inzwischen mit der direkten Heidelberger Art
vertraut war, freute sie sich sogar, dass die Dame sie erkannt hatte.
„Vielleicht habe ich es Ihnen und Ihren Tipps zu verdanken, dass ich hier in
Heidelberg gelandet bin. Ist das was?“, fragte sie scherzhaft. „Jetzt darf ich
Ihnen aber erst mal meine Eltern anvertrauen, die ich nachher gern wieder zum
Essen abholen würde. Vielleicht haben sie da auch noch einen guten Tipp für
uns?“
„Aber sicher, und jetzt kommen Sie rein. Alles andere
besprechen wir später.“ Und sie lotste Emilys Eltern die Treppe hinauf. Emily
wusste die beiden nun in besten Händen und lief beschwingt nach Hause zurück.
Sie hatte das dringende Bedürfnis, mit sich alleine zu sein, um die sich
überstürzenden Ereignisse erst nochmal in Ruhe betrachten zu können.
Emily war aufgeregt. Nachdem sie mit ihren Eltern gestern
Abend essen war, die beide aber so mit sich selbst beschäftigt schienen, hatte
sie sie auch am nächsten Tag weitgehend alleine gelassen. Ihr Angebot, eine
kleine Stadtführung zu machen, hatte ihre Mutter abgelehnt. Das wäre ihr doch
zu anstrengend. Immerhin hatte sie fürs Erste den Stock akzeptiert und stakste
damit fröhlich durch das Zimmer in der kleinen Pension. Ihr Vater wirkte so
lebendig wie schon lange nicht mehr. Auf die beiden wirkte Heidelberg wie ein
Jungbrunnen. Sie hatten wie Emily damals den Tipp von Frau Bechtl, der
Pensionswirtin, angenommen und ebenfalls eine Neckarschifffahrt, allerdings nur
nach Neckarsteinach, unternommen. Jetzt stand Emily vor der Pension und wollte
ihre Eltern abholen, um sie in eine
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