Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
läuft ohne mich. Ich hasse es, dass ich dich liebe – und“, sie
musste tief Luft holen, „und noch mehr leid tut’s mir, dass ich die Kinder
inzwischen so sehr liebe.“
Jetzt musste sie ganz schnell den Abgang machen, bevor ihr
die Tränen kamen. Diesen Triumph wollte sie Camilla nicht gönnen. Sie drehte
sich um, blieb mit der Bluse am Messinggriff der Zimmertür hängen, zog mit
aller Gewalt, um loszukommen und zerriss ihr Lieblingsstück, aber sie war frei.
Sie schnappte ihre Tasche und sprintete die Treppe hinunter. Unten besaß sie
noch die Geistesgegenwart, Josues Schlüssel in den Briefkasten zu werfen.
Dann rannte sie auf Strümpfen die Straße hinunter, um
möglichst schnell von den beiden wegzukommen. An der Straßenecke lehnte sie
sich an eine raue Hausmauer und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, der
ewig anzuhalten schien. Zwei Jugendliche gingen vorbei. Dann kamen sie wieder
zurück, um ihr ein Taschentuch und eine Flasche Bier zu geben. Sie nahm beides
und schluchzte, dass selbst die Sandsteinskulpturen der Christuskirche
mitleidig schauten.
Die Bilder ihrer Liebe flossen mit ihren Tränen auf den Gehweg
und bildeten eine bunte Pfütze, die bis morgen vertrocknet sein würde. Wie sie
Josue das erste Mal begegnet war, die lange Anlaufzeit, in der sie ihn in ihren
Träumen geliebt hatte, wie sie am dunklen Neckar entlang geschlendert waren,
als er sie das erste Mal küsste und sie dachte, es könne ihr nie wieder etwas
zustoßen. Die guten Momente mit den Kindern und ihm kamen ihr in den Sinn, wie
sie sich aufgehoben gefühlt hatte in einer Familie und sich bemüht hatte, sie
zu ihrer eigenen zu machen. Sie trank einen Schluck Bier und ließ das Bier auch
außen den Hals hinunterlaufen, denn es kühlte ihre erhitzte Haut.
Langsam pirschten sich aber auch Bilder an, die sie lange
Zeit erfolgreich weggeschoben hatte. Wie Josue so abwesend wirkte, wenn er sie
ansah. Wie ausgenutzt sie sich immer wieder vorgekommen war, wenn er nur seine
Bedürfnisse im Blick hatte, und wie schlecht sie im Bett zusammengepasst
hatten. Das alleine hätte ihr eine Warnung sein müssen. Aber nein, sie hatte ja
immer wieder dran glauben wollen, dass alles gut werden würde.
„Ich bin so blöd! Ich war so blind“, stöhnte sie. Sie
hämmerte sich an die Schläfen, um den von innen pochenden Schmerz zu betäuben.
Da packte sie jemand an den Schultern.
„Emily, bist du’s? Was machst du denn hier, nachts, ohne
Schuhe und überhaupt?“ Sie schwankte ein wenig. Es war Gabriel. Und da war auch
noch Ruth, wie sie durch einen Tränenschleier wahrnahm.
„Emi, was ist mit dir? Du
bist ja völlig fertig. Komm, Gabriel, wir nehmen sie mit.“ Beide hakten sie
unter und Gabriel holte auch noch ihr Fahrrad. Gabriel wohnte nicht weit weg,
wie sie damals ja bei ihren Spionageaktionen schon festgestellt hatte. Alles
umsonst, all die viele schöne Zeit, die sie ihm nachgestellt hatte. Sie fing
wieder an zu schluchzen. Gabriel schloss die Haustür auf. Er wohnte ebenerdig
in einer kleinen Einzimmerwohnung. Dorthinein wurde sie nun auf das alte
Junggesellenbett verfrachtet. Gabriel kochte einen Tee, Ruth zog ihr die
Strümpfe aus und dafür dicke Wollstrümpfe an und rubbelte ihr die Füße warm.
Emily warf sich Ruth an den Hals. „Er liebt mich nicht.“
Ruth nahm sie fest in die Arme und kümmerte sich nicht um
all den Rotz und das Bier.
„Er wollte mich nur für die Kinder“. Sie schniefte an Ruths
groß gewordener Brust. „Und vielleicht, dass ich ihm leben helfe.“ – „Aber das
geht doch nicht, wenn er mich nicht liebt.“ Sie wurde von einem tiefen Seufzer
geschüttelt. „Soll er doch mit Camilla glücklich werden.“ Der nächste
Weinanfall packte sie. „Die armen Kinder. Was wird denn jetzt aus ihnen werden?
Mein kleiner Flo und die große Lizzy. Was mach ich denn jetzt nur, wenn ich sie
nicht mehr sehen kann?“
Ruth murmelte beruhigende Laute und strich ihr über den
Rücken. Gabriel stand etwas unbeholfen dabei.
Ruth fragte: „Willst du ihr vielleicht ein heißes Bad
einlassen? Und haben wir Schokolade da? Schokolade hilft normalerweise bei
Emi.“
Gabriel ging ins Bad. Emily hörte das Plätschern von Wasser.
Dann stand er wieder in der Tür. „Ich geh dann mal Schokolade suchen.“ Und weg
war er.
Ruth führte Emily wie
eine Kranke vorsichtig ins Bad, half ihr beim Ausziehen. Dann drückte sie ganz
viel Badeschaum in die Wanne und Emily stieg folgsam wie ein Kind in das
dampfende Bad. Das
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