Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
und radelte, anstatt in die Mensa zu gehen, Richtung
Weststadt. Das Wochenende bei ihren Eltern hatte zwiespältige Gefühle in ihr
hervorgerufen. Einerseits fühlte sie sich darin bestärkt, dass sie ihr Leben
leben wollte, denn ihre Eltern gingen ihr in kürzester Zeit auf die Nerven.
Andererseits hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nun so weit weg wohnte
und nicht ab und zu nach ihnen schauen konnte. Wobei sich ihr Vater derzeit noch
in seiner aufopfernden Rolle gefiel, so dass es ihnen im alltäglichen Leben an
nichts fehlte. Genug Geld hatten sie auch, vermutete Emily, damit konnte man
sich dann auch die ein oder andere Dienstleistung wie Fensterputzen oder Arbeit
im Garten dazukaufen.
Fast genauso zwiespältige Gefühle befielen sie jetzt bei
ihrem Vorhaben, Josues Wohnort aufzusuchen.
Auf dem Stadtplan hatte sie es sich genau angeschaut, Blumenstraße und
dann rechts und da war sie schon. Sie straffte ihre Schultern in dem dünnen Top,
um die heute ein Seidenschal drapiert war, nur für den Fall der Fälle.
Während sie sich möglichst wenig suchend umschaute und zügig
durch die Straße fuhr, schielte sie doch nach den Hausnummern. Es gefiel ihr
hier. Platanen säumten einen kleinen Platz, Kinder spielten Fangen, die Straßen
waren teilweise verkehrsberuhigt. Da, sie hatte es gefunden. Ein elegantes
Mehrfamilienhaus, vermutlich um die letzte Jahrhundertwende erbaut. Ehe sie
sich’s versah, war sie vom Fahrrad abgestiegen und huschte zu den altmodischen
Klingelschildern. Dort als zweiter von oben, als dritter von unten stand GOMEZ.
Sie zählte die Stockwerke. In der Tat, er schien das gesamte dritte Stockwerk
zu bewohnen. Schnell schnappte sie sich wieder ihr Fahrrad und sah sich nach
einem Versteck um. In Krimis fanden sich immer irgendwelche Hauseingänge oder
Nischen. Hier schien weit und breit nichts Brauchbares in Sicht. Also schob sie
ihr Fahrrad auf die andere Straßenseite, stellte es ab und beschloss, einige
Male langsam auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig hin und her zu wandern. Für
einen Außenstehenden – und es gab doch immer Menschen, die den ganzen Tag aus
dem Fenster schauten – konnte es so aussehen, als wartete sie. Und das stimmte
schließlich auch, sie wartete auf ihn und auf den Anfang ihres neuen Lebens.
Emily musterte das, was sie von der Wohnung im dritten Stock aus den
Augenwinkeln erkennen konnte, während sie so schlenderte.
Die Fenster schienen eine Weile nicht mehr geputzt zu sein,
dass ausgerechnet ihr so etwas auffiel? Im einen Zimmer standen zwei
Kerzenständer auf der Fensterbank. Auf einem anderen waren draußen zwei
Terrakotta-Töpfe angebracht, in denen Basilikum und Rosmarin wuchs. Dort schien
also jemand zu wohnen, der gerne kochte. Dabei machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer,
gutes Essen war ihr wichtig, auch wenn diese Leidenschaft in der letzten Zeit
aufgrund ihres schmalen Geldbeutels zu kurz gekommen war. Das große Zimmer,
vielleicht das Wohnzimmer mit den Kerzenständern, hatte einen Erker, so dass
eine Art Wintergarten durch die großen Glasfenster entstand. Auch die Häuser in
der Nachbarschaft waren alle gut restauriert, hier schienen sich die
wohlhabenderen Heidelberger niederzulassen. Vielleicht die neue grüne
Schickeria, die Bio einkaufte und aus Prinzip mit dem Fahrrad fuhr, auch wenn
eine nagelneue Limousine in der Tiefgarage parkte. Schon ok, dachte sie, damit
kann ich leben.
Da kam ihr auf dem Bürgersteig eine ältere Frau mit zwei
Kindern an der Hand entgegen. Sie trat zur Seite, um die drei vorbeizulassen. Doch
die drei kreuzten die Straße, wobei sie merkte, dass der Junge weinte und von
der Frau mehr an der Hand geschleift wurde, als dass er freiwillig mitging.
Emily hielt den Atem an. Waren das die Kinder von Josue? Sie betraten den
Vorgarten zu dem Haus. Aber er hatte doch nur ein Kind, zumindest hatte sie das
die ganze Zeit geglaubt? Die bei sommerlichen Temperaturen mit einer Wolljacke
in undefinierbarer Farbe bekleidete Dame schloss die Tür auf. Emily wartete
weiter. Da erschienen zwei Kinderköpfe in einem der Fenster im dritten Stock
und platsch schlug vor ihr eine Wasserbombe auf, die sie über und über nass
spritzte. Na gut, es war warm, aber das war wirklich nicht die feine englische
Art, fremde Menschen nass zu machen. Schon kam die Dame, zog die beiden vom
Fenster weg, schimpfte und schloss es energisch. Emily winkte ihnen noch
hinterher und der Kleinere hatte es gesehen und streckte ihr die Zunge heraus.
Emily
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