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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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uns in der Halle über den Weg gelaufen und beide jedes Mal neu zurückgezuckt waren. Gott sei Dank gab es Sylvie. Sie war schon jetzt eine echte Freundin. Sie behandelte mich ganz normal, half mir, mich zurechtzufinden, erklärte mir, wo sich die Klassenzimmer befanden und wie ich sie zum Mittagessen treffen konnte. Ohne sie hätte ich mich wahrscheinlich einfach nur irgendwo hingelegt, die ganze Welt über mich hinwegschwappen lassen und nicht gewusst, ob ich jemals wieder würde aufstehen können.
    Clio würde mit ihrer Großmutter sprechen. Dann hatte ich also auch eine Großmutter. Zum ersten Mal, in siebzehn Jahren. Zweifel waren sinnlos. Es war überwältigend offensichtlich, dass Clio und ich mal eine Eizelle gewesen waren, die sich geteilt hatte. Jetzt, da ich wusste, dass ich eine Zwillingsschwester hatte, fühlte ich mich doppelt so verloren und doppelt so unvollständig wie zuvor. Würde das Gefühl nachlassen, wenn wir uns näher kennenlernten? Immerhin hatte ich jetzt eine Familie, richtige, echte Blutsverwandte, und dennoch fühlte ich mich immer noch so schrecklich allein.
    Dad hatte von alledem keine Ahnung gehabt, das wusste ich instinktiv. Er hatte nie in irgendeiner Weise durchblicken lassen, dass er von meiner Zwillingsschwester wusste. Was in sich schon wieder ein neues Rätsel war.
    Ich hatte es geschafft, eine Straßenbahn Richtung Innenstadt zu erwischen. An der Endhaltestelle, Canal Street, stieg ich aus. Wie ein abgerichteter Hund hatte ich den Weg zu Axelles Apartment zurückgefunden. Nur für eine Minute hatte ich meine Stirn gegen das von der Sonne erwärmte Eisentor gelehnt. Bitte, bitte, lass Axelle nicht zu Hause sein. Und auch Daedalus oder Jules nicht. Bitte.
    Ich ging an dem Schwimmbecken im Innenhof vorbei und zögerte, bevor ich die Tür aufsperrte. Wie hatte Axelle es geschafft, mich in ihre Obhut zu bringen? Wer war sie wirklich? Hatte sie meinen Dad überhaupt gekannt? Denn so sicher ich wusste, dass Clio meine Schwester war, so sicher fühlte ich auch, dass man mich absichtlich nach New Orleans gebracht hatte und dass das irgendetwas mit Clio zu tun haben musste. Für einen Moment hielt ich mit dem Schlüssel in der Hand inne. Oh mein Gott. Hatte Axelle den Tod meines Vaters herbeigeführt? Das Timing war so… Ich holte tief Luft und dachte noch einmal darüber nach.
    Wie hätte sie das bewerkstelligen sollen? Der Schmerz war noch sehr frisch und flammte sofort erneut auf, wenn ich an den Tag zurückdachte: Mein Dad war getötet worden, als eine alte Frau hinter dem Steuer ihres Autos einen Schlaganfall erlitten hatte. Der Wagen war über den Bordstein und mitten in das Schaufenster eines Drugstores gerast. Mein Dad hatte im Weg gestanden. Die Frau kam aus unserer Stadt– die alte Mrs Beadle. Ich kannte sie vom Sehen. Auf keinen Fall hätte Axelle sie bestechen können. Sie hatte sich die Nase und das Schlüsselbein gebrochen und Glassplitter ins Auge bekommen. Man hatte ihr den Führerschein für immer abgenommen. Trotz allem hatte Mrs Thompkins Mitleid mit ihr gehabt. Nein. Axelle und ihre ganze Gang fröhlicher Irrer konnten nichts damit zu tun haben.
    Ich öffnete die Tür und wie üblich schlug mir der kalte Schwall der Klimaanlage entgegen. Drinnen stand die Luft vor abgestandenem Rauch, aber Gott sei Dank war es ruhig und leer. Ich wusste sofort, dass niemand zu Hause war, so als hätte ich die klirrende Energie ihrer Gegenwart automatisch spüren müssen.
    Ich schleuderte meinen Rucksack in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. Ich war wie betäubt. Auch wenn Axelle den Tod meines Vaters nicht verursacht hatte, so konnte es doch kein Zufall sein, dass ich durch halb Amerika bis hierher gebracht worden war, in eine Stadt, in der ich noch nie zuvor gewesen war, um dann in meine eineiige Zwillingsschwester zu laufen– die Zwillingsschwester, von der ich nicht gewusst hatte, dass sie existierte. Andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein heutiges Zusammentreffen mit Clio geplant gewesen war. Axelle hatte mein Vorhaben, in die Schule zu gehen, zu unbekümmert hingenommen. Wenn sie gewusst hätte, dass sich Clio ebenfalls dort aufhielt, hätte sie bestimmt nicht gewollt, dass wir uns begegneten– wenigstens jetzt noch nicht.
    Rastlos erhob ich mich. Ich hatte keine Ahnung, wann Axelle zurück sein würde. Ich begann durch die Wohnung zu streifen und zum ersten Mal ganz bewusst herumzuschnüffeln. Mein Blick fiel auf die Tür, die zu dem geheimen Dachboden

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