Ein Kelch voll Wind
alles hier«– ich machte eine Bewegung, die die ganze Welt umspannen sollte– »a n dir vorbeirauschen, ohne dich im Mindesten zu betreffen. Du bist wie ein…« Ich hielt inne und dachte nach. »W ie ein Baum in der Mitte eines Flusses. Und der Fluss fließt um dich herum, über dich hinüber, aber du bewegst dich nicht.« Ich lachte ein wenig verlegen angesichts meines Vergleichs.
Luc sagte einen Moment lang gar nichts, sondern blickte mich einfach nur an. »I st es wirklich das, was du in mir siehst?«, fragte er schließlich sanft.
»J a«, antwortete ich, und es kümmerte mich nicht, ob ich dumm klang. »A lles in meinem Leben hat sich geändert und ändert sich jeden Tag. Aber wenn ich hier bei dir sitze, ist es, als würde die Welt aufhören, sich zu drehen.« Ich zuckte die Schultern. »A ls würde die Zeit angehalten. Es ist… friedlich. Mir geht es besser. Ich kann es nicht erklären.«
Luc lehnte sich gegen die weinumrankte Backsteinmauer. Ich hörte das träge Summen der Bienen, die in dem Jasminstrauch von Blüte zu Blüte flogen. Ich erinnerte mich daran, wie Luc mir den Namen einer Blume genannt hatte, und beugte mich vor, um eine wunderschöne cremefarbene Gardenienblüte zu pflücken. Ich atmete ihren Duft ein, ihre berauschende Süße, und steckte sie in das Knopfloch seiner Hemdtasche.
»E ine für dich«, sagte ich lächelnd.
Luc blieb ruhig, während sich ein kleines, verwirrtes Lächeln über sein Gesicht legte.
»W as willst du von mir, Thais?«, fragte er.
»W as ich von dir will?« Ich verstand nicht.
»M enschen in Beziehungen wollen etwas voneinander«, erklärte er geduldig. »M ädchen wollen vielleicht beschützt werden oder jemanden haben, der für sie bezahlt– jemand, mit dem sie vor ihren Freundinnen angeben können. Und Jungs wollen ein hübsches Püppchen am Arm zum Vorzeigen oder jemanden, der sich um sie kümmert, oder einfach nur jemanden, der mit ihnen schläft. Die Menschen haben so viel Angst davor, allein zu sein, dass sie sich wie gestrandete Existenzen nach einem Schiffbruch aneinanderklammern. Also, was willst du von mir? Und was bietest du mir?« Seine Stimme mit der modulierenden Sprechweise war so leise, dass nur ich sie hier in diesem stillen, entlegenen Garten hören konnte.
Mir stand der Mund offen. »O kay, also das war mit Abstand die deprimierendste, altmodischste, sexistischste Scheißsicht auf Beziehungen, die ich seit Langem gehört habe.« Ich war verletzt. Er unterstellte mir ja praktisch, dass ich ihn auf irgendeine Weise benutzen wollte. »W o lebst du denn bitte? Und wie konntest du so jung schon so zynisch werden?«
Luc legte den Kopf schief und musterte mich. Sein dunkles Haar und seine wunderschönen Augen machten mich noch wütender. Sein fantastisches Äußeres wurde von seinem tumben Inneren zunichtegemacht.
»U nd seit wann haben wir überhaupt eine Beziehung?«, fragte ich und spürte, wie der Ärger immer weiter in mir anschwoll. »W ir sind uns gerade zweimal begegnet!« Meine Gedanken rasten, und ich fühlte, dass ich etwas verloren hatte, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich es wollte. »I ch biete dir gar nichts.« Ich spie die Worte geradezu aus. »I ch würde lieber den Rest meines Lebens alleine bleiben, als etwas mit einem Typen anzufangen, der nur darüber nachdenkt, was ich von ihm wollen könnte. Warum machst du dir darüber überhaupt Gedanken? Du hast mir ganz offensichtlich nichts zu bieten.«
Ich sprang von der Bank auf und lief zum Gartentor. Ich war furchtbar wütend, dass er alles ruiniert hatte, wo ich mich doch gerade so ruhig und friedlich gefühlt hatte. Ich war im Begriff, das Tor aufzustoßen, als Luc plötzlich nach meinem Arm griff und mich zu sich herumdrehte. Sein Gesicht war voller Emotionen: Unsicherheit, Hoffnung und etwas, was ich nicht sofort deuten konnte. Ein starkes, intensives Begehren.
»D u wärst überrascht, was ich dir alles bieten kann«, sagte er rau und dann küsste er mich, wie mich Chad Woolcott in den acht Monaten, in denen wir zusammen gewesen waren, nie geküsst hatte. Wie mich überhaupt noch niemand geküsst hatte, niemals. Mein Kopf sank über seinen Arm nach hinten und ich spürte die Hitze seines Körpers durch meine Kleidung. Ich dachte keinen Augenblick darüber nach, mich zu wehren, und ich begriff, dass ich ihn die ganze Zeit über begehrt hatte. Ich fühlte die Stärke seiner Arme, die mich hielten, mich an ihn drückten. Meine Augen schlossen sich langsam,
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