Ein Kelch voll Wind
ihre Finger schlossen sich fester um das Glas.
»S ie heißt Axelle Gauvin«, sagte Thais. Nan verschüttete ihren Tee. Als ich aufsprang, um ein Küchentuch zu holen, sah ich, wie sich Thais’ Augen verengten. Tee und Eiswürfel ergossen sich über Q-Tip. Er sprang entrüstet auf den Boden und trottete in den Nebenraum.
»I ch nehme an, du hast von Axelle Gauvin gehört?«, sagte ich trocken, während ich den Tee aufwischte.
»J a«, erwiderte Nan grimmig. »S ie stammt aus unserer Sippe, unserem ursprünglichen Kreis. Ihre und meine Vorfahren gehörten zur selben famille.«
»S ie ist eine Verwandte?«, fragte Thais entgeistert.
»K eine Blutsverwandte«, sagte Nan. »D u musst dir das eher wie bei einem Clan vorstellen. Viele unserer Leute sind aus Kanada eingewandert. Einige von ihnen werden heute ›C ajuns‹ genannt. Aber unsere spezielle Gruppierung umfasste nur fünfzehn Familien. Ganz offensichtlich weiß Axelle von dir und Clio. Und sie hat dich aus einem ganz bestimmten Grund hierhergebracht.«
Thais sah gequält aus. »G enau darüber habe ich mir die ganze Zeit schon Sorgen gemacht. Woher hat sie gewusst, dass mein Dad gestorben ist? Wie hat sie es geschafft, mich in ihre Obhut zu bringen? Und dann seid ihr beide der Magie mächtig…« Thais’ Kinn zitterte. »O h Gott«, sagte sie schwach, und es klang, als sei sie kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen. »H at sie meinen Dad umgebracht?«
»A xelle ist so einiges, aber eine Mörderin? Ich muss schon sagen, ich glaube nicht, dass sie so etwas tun könnte«, antwortete Nan fest. »I mmerhin warst du bis jetzt bei ihr in Sicherheit. Niemand hat versucht, dir wehzutun, oder?«
Thais dachte stirnrunzelnd nach. »N ein, eigentlich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »K ennst du auch Jules und Daedalus?«
Nan nickte.
»S ie treiben sich ziemlich oft bei Axelle rum«, sagte Thais. »S ie sind mir ein bisschen unheimlich, aber keiner von ihnen hat je versucht, mir zu schaden. Axelle scheint sich auf ihre Art sogar ein bisschen um mich zu sorgen. Sie hat mir ein Handy gegeben. Oh, und als ich mal schlecht geträumt hatte, hat Axelle Zaubersprüche in meinem Zimmer aufgesagt.«
Einige Minuten lang saßen wir gedankenverloren da. Es war schon eine Menge, was wir da zu verarbeiten hatten. Jetzt verstand ich, weshalb Nan so ausgeflippt war, als sie von Thais erfahren hatte, und Haus und Hof mit Bannsprüchen belegt hatte. Ich fragte mich, ob ich heute wohl noch mal zur Schule musste oder ob es einen Weg gab, mich stattdessen zu André zu schleichen.
»I ch denke, fürs Erste bist du bei Axelle in Sicherheit«, entschied Nan. »I ch werde mit ihr sprechen, und dann sollten wir darüber nachdenken, ob du zu uns ziehst.«
Thais’ Gesicht leuchtete auf, und gleichzeitig merkte ich, wie sich meines verschloss.
»A ber vorerst bleibst du bei ihr. Halt Augen und Ohren offen, sei besonders vorsichtig, besonders wachsam«, sagte Nan. »U nd ich denke, es wäre besser für dich, wenn du ein bisschen Magie erlernen würdest. Es würde dir helfen, dich selbst zu schützen.«
»Ä hm…« Thais sah alles andere als begeistert aus.
»I ch bringe euch beide jetzt zurück zur Schule«, sagte Nan. »U nd ich werde euch Entschuldigungen schreiben, damit ihr keinen Ärger bekommt. Clio, du kommst nach dem Unterricht schnurstracks zurück, und Thais, du gehst auf dem schnellsten Weg zu Axelle, verstanden?«
Irgendwie gelang es mir, keine Grimasse zu schneiden. Ich würde nach der Schule nach Hause rennen, meine Bücher abladen, mich umziehen und dann zu André gehen.
Nan umarmte erst mich, dann Thais. »T rotz allem bin ich sehr froh, euch wieder vereint zu sehen. Es ist so schön, euch beide gleichzeitig anschauen zu können, euch beide zu kennen. Wir sind eine Familie, und wenn wir das hier erst geklärt haben, wird die Welt gleich ganz anders aussehen.«
Kapitel 22
Thais
»W as?«, fragte ich flüsternd.
Sylvie lächelte mich verlegen an und stellte ihr Arbeitsbuch senkrecht auf das Pult, damit uns die Studienaufsicht nicht tuscheln sah. »T ut mir leid. Ich wollte dich nicht anstarren. Es ist nur… ich kenne Clio seit drei Jahren und jetzt kenne ich dich, und ihr seid beide so unterschiedlich. Ich meine, ich war nie gut mit Clio befreundet oder so. Aber trotzdem, ihr seht euch sooo ähnlich, und doch seid ihr alles andere als gleich.«
»W ir ziehen uns anders an«, sagte ich. Nach meinem Akte-X -mäßigen Start in den Tag wieder in der Schule zu
Weitere Kostenlose Bücher