Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
den britischen Streitkräften aufgegeben worden war und seither verwahrloste. Besser, er sagte nicht, was er von diesem Treffpunkt hielt. Von wegen unauffällig! Sein »Partner« hatte anscheinend ein Faible für dramatische Orte.
Kevin stand von seinem Platz hinter einem umgekippten Spind auf, den er bei ihren »Geschäftstreffen« als Schreibtisch benutzte. »Verschwinde endlich.«
Heinz Bongarts, den alle nur Bonny nannten, verzog keine Miene, nahm wortlos seinen Motorradhelm vom Spind, setzte seine Sonnenbrille auf und ging. Das zersplitterte Glas unter seinen Stiefeln aus Schlangenlederimitat knirschte laut.
Kevin sah Bonny hinterher, wie er langsam die halbdunkle, ehemalige britische Panzerwerkstatt durchquerte und, kurz bevor er in der gleißend hellen Türöffnung verschwand, seinen Helm aufsetzte. Dann nahm er seinen Tabak aus der Jeansjacke und drehte sich eine Zigarette. Bonny war ein Spinner und gefährlich dazu; hilfreich zwar, aber mehr auch nicht.
Sein Kontakt hatte recht behalten. Bonny war jemand, der die Drecksarbeit machte und keine unnötigen Fragen stellte.
»Wann kann ich mein Kind sehen?« Hertha Dürselen knetete ihr Taschentuch, das längst durchweicht in ihren Fingern lag. Ihre grauen Augen waren rot und verquollen. Ängstlich und verzweifelt hockte sie wie ein nach langer Flucht in die Enge getriebenes Tier in ihrem Sessel. Sie sah von Frank zu Ecki und zu ihrem Mann, der schweigsam am Esszimmertisch saß.
Frank sah, dass Herbert Dürselen es vermied, seine Frau anzusehen. So, als ginge ihn der Tod seiner einzigen Tochter nichts an.
»Herbert.« Hertha Dürselen wimmerte.
Ihr Mann schüttelte stumm den Kopf.
Als könne er so das Ungeheuerliche ungeschehen machen, dachte Ecki und beugte sich leicht vor. »Frau Dürselen, wir müssen Sie das fragen: Seit wann machte Ihre Tochter diese, also, diese Arbeit?«
Bei dem letzten Wort zuckte Herbert Dürselen zusammen.
Ein flehendes »Herbert« war die einzige Antwort.
Frank sah Ecki an, der nickte, weil er wusste, was Frank sagen wollte.
»Wir können später noch einmal vorbeikommen, Frau Dürselen. Aber Sie müssen Ihre Tochter identifizieren.«
Hertha Dürselen schüttelte langsam den Kopf. Dann presste sie das Taschentuch auf ihren Mund. Ein stummer Schrei verlor sich in dem mit Spitzen besetzten Tüchlein.
»Lassen Sie sie in Ruhe. Ich mache das«, klang es nahezu tonlos vom Esstisch herüber. »Meine Tochter ist schon lange tot. Sie hat immer ihr eigenes Leben leben wollen. Sie hat uns schon vor langer Zeit verlassen. Sie ist nicht mehr unser Kind. Julia hat eine Nutte werden wollen, und als Nutte ist sie gestorben.«
Ein lauter Schrei unterbrach ihn und krallte sich mit seinen Spitzen in den dicken Stoff der Übergardinen.
Hertha Dürselen hatte ihr Taschentuch fallen gelassen und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Aber ihre weit aufgerissenen Augen verrieten, dass sie längst ihren Widerstand gegen die Wahrheit über das Leben ihrer Tochter aufgegeben hatte.
»Was ist das nur für ein Leben, das diese Leute führen?« Frank beobachtete die Fußgänger, die an der Theaterkreuzung bei Grün die Straße überquerten und gemächlich dem Verlauf der Hindenburgstraße bergan folgten. »Ist dir diese klinisch saubere Wohnung aufgefallen? Selbst die Aschenbecher waren auf Hochglanz. Wohnen tun die beiden da nicht. Die sind nur noch Dekoration in dem, was sie als ihr Leben betrachten. Ich wäre mit Sicherheit auch aus diesem spießigen Museum ausgebrochen. Da kannst du dir sicher sein.«
»Oh, haben wir heute unseren philosophischen Tag?« Ecki folgten mit seinem Blick einer jungen Frau, die mit zwei Kindern an der Hand erst stehen geblieben, dann aber doch noch über die Straße gehetzt war.
»Mir wäre die Luft weggeblieben.«
»Aber du hättest dich nicht an irgendwelche Freier verkauft.«
»Julia Dürselen mag selbst das, oder gerade das, als Befreiung empfunden haben. Ich vermute, sie hat ganz bewusst für Geld die Beine breit gemacht. Kennt man doch: Auf diese Weise bricht man am effektivsten mit seinem bürgerlichen Leben und allem, was damit verbunden ist.«
»Ein sehr existenzialistischer Denkansatz. Aber im Ernst: eine Auflehnung, also?«
Frank nickte.
»Früher Kiffen, heute Strapse? Machst du es dir da nicht ein bisschen zu einfach?« Ecki langte nach hinten, um mehrere CD s von der Sitzbank zu greifen. »Wie auch immer, auf jeden Fall war die Auflehnung tödlich.«
Frank antwortete nicht, sondern gab
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